Christian Freiherr von Ehrenfels (Maria Christian Julius Leopold Freiherr von Ehrenfels; * 20. Juni 1859 in Rodaun bei Wien; † 8. September 1932 in Lichtenau im Waldviertel), österreichischer Philosoph, gilt als einer der Vordenker und Vorläufer der Gestaltpsychologie bzw. der Gestalttheorie.
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Christian von Ehrenfels glaubte nicht, dass wir aus primären Qualitäten wie Farben und Formen Gegenstände bilden.
Vielmehr war er der Meinung, dass wir spontan ganze Gestalten wahrnehmen.
Er erklärte, dass eine Melodie nicht als Addition von Tönen wahrgenommen wird sondern als geordnetes Ganzes.
Es leuchtet ein, dass, um eine Melodie aufzufassen, es nicht genügt, den Eindruck des jeweilig erklingenden Tones im Bewusstsein zu haben, … dass es, um eine Melodie von etwa 12 Tönen aufzufassen, auch nicht genügt, den Eindruck der jeweilg drei letzten Töne in Erinnerung zu behalten, sondern dass hierzu der Eindruck der ganzen Tonreihe erforderlich ist.
(S. 189)
Damit stellte er die klassische Frage, ob das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.
Die Melodie oder Tongestalt [ist] etwas anderes … als die Summe der einzelnen Töne, auf welchen sie sich aufbaut.
(S. 191)
Das sah er so und glaubte, dass die Gestalt die Strukturinformation enthält, die die Teile zum Ganzen ordnet.
Wenn jemand … eine Melodie in einer anderen als in der ursprünglichen Tonhöhe reproduziert, so reproduziert er gar nicht die Summe der früheren Einzelvorstellungen, sondern einen ganz anderen Komplex, welcher nur die Eigenschaft besitzt, dass seine Glieder in analoger Beziehung stehen, wie diejenigen des früher vorgestellten Komplexes. Diese Beziehung ist nach unserer Auffassung in einem positiven Vorstellungselement, der Tongestalt, begründet, derart, dass ein und dieselbe Tongestalt immer gleiche Beziehungen zwischen den Elementen ihres Tonsubstrats (den einzelnen Tonvorstellungen) bedingt.
(S. 193)
Überlegung
- Das Problem seiner These ist die Abgrenzung von Wahrnehmung und Erkenntnis.
- Es ist zweifelhaft ob Strukturinformation direkt wahrgenommen werden kann.
Literatur
Ehrenfels, Christian von, 1967. „Über ‚Gestaltqualitäten’“ (1890), in Gestalthaftes Sehen. Ergebnisse und Aufgaben der Morphologie. Zum hundertjährigen Geburtstag von Christian von Ehrenfels, F. Weinhandl (Hg.), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 13f., 18-21.
Grossmann, Reinhardt, 1977. „Structures versus Sets: The Philosophical Background of Gestalt Psychology“‚ Critica 9: 3-21.
Hamlyn, David W, 1957. The Psychology of Perception: A Philosophical Examination of Gestalt Theory and Derivative Theories of Perception, London: Routledge & Kegan Paul.
Macnamara, John und Boudewijnse, Geert-Jan, 1995. „Brentano’s Influence on Ehrenfels’ Theory of Perceptual Gestalts“, Journal of the Theory of Social Behaviour 25: 401—418.
Reicher, Maria E., 2009. “Value Facts and Value Experiences in Early Phenomenology”, in Values and Ontology: Problems and Perspectives, Beatrice Centi and Wolfgang Huemer (eds.), Frankfurt: Ontos, 105–135.
Rollinger, Robin D., 2008. Austrian Phenomenology: Brentano, Husserl, Meinong, and Others on Mind and Object. Frankfurt: Ontos.
Smith, Barry (Hg.), 1988. Foundation of Gestalt Theory, München und Wien: Philosophia.
Textstellen zitiert nach: Wiesing, Lambert (Hg.), 2015. Philosophie der Wahrnehmung. Modelle und Reflexionen, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
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Biographische Information aus der deutschen Wikipedia.
Literatur aus Wiesing, 2015.