Ich liebe Bücher und mittlerweile habe ich eine ganze Menge davon. In der Regel findest du schneller ein interessantes Buch, als einen interessanten Gesprächspartner. Das ist jedenfalls meine Erfahrung.
Viele Jahre war ich Stammkunde in Buchhandlungen und auch heute noch gehe ich in jeden vielversprechenden Laden, vor allem, wenn ich in einer fremden Stadt bin. Ich liebe auch Bibliotheken und habe schon viele von innen gesehen.
Trotzdem kaufe ich mittlerweile den grössten Teil meiner Bücher im Internet, bei Amazon, ZVAB und AbeBooks (wenn im Folgenden nichts weiter angegeben ist, dann habe ich das Buch im „normalen“ Buchhandel gekauft). Dafür gibt es zwei Gründe: Wenn immer möglich kaufe ich gebrauchte Bücher, denn die sind preiswerter und verdienen es weiter zu leben. Ausserdem funktioniert die Logistik der Shops hervorragend. In meinem Stadtteil gibt es keine Buchhandlung mehr, die ich faszinierend finde. Der Weg in ein anderes Viertel ist meist zu lästig und im Stadtzentrum gibt es nur grosse Ketten, die mir nichts sagen.
Lese ich auch digital? Manchmal aber selten. Die Idee ist eigentlich gut und insbesondere bei Aufsätzen aus Fachzeitschriften sogar genial. Bei Büchern komme ich mit der gedruckten Version aber meist besser zurecht. Ich schreibe ziemlich viel aus den Büchern heraus und vielleicht denkst du, dass das bei einer digitalen Version doch viel leichter ist mit Copy&Paste. Schon, schon, aber was du herauskopierst behältst du viel schlechter als das, was du herausschreibst.
Ausserdem kannst du mit den digitalen Ausgaben oft gar nicht arbeiten. Nehmen wir nur mal die Kindle-E-Books von Amazon. Die sind nicht seiten-konkordant zur gedruckten Ausgabe, was bedeutet, dass du sie nicht zitieren kannst. Das ist sicher ganz OK für den Krimi am Strand. Aber wenn du mit den Inhalten arbeiten möchtest, dann ist das keine Lösung.
Was ich so lese? Hauptsächlich interessieren mich Philosophie, Kunsttheorie und Geschichte. Aber ich verirre mich gerne auch mal auf ein anderes Gebiet. Schau mal …
Beaumarchais – Figaros Hochzeit
Gnoli – Orestes or the Art of Smiling
Machiavelli – Der Fürst
Domenico Gnoli, Orestes or the Art of Smiling, Simon & Schuster, New York: 1961
Gekauft bei AbeBooks für € 24,05 inkl. Versandkosten.
Dieses liebevoll aufgemachte Bilderbuch erzählt die Geschichte des traurigen Prinzen Orestes. Unter der Herrschaft seiner Grossmutter litt er unter deren herrischem Wesen und ihrer streitsüchtigen, lauten Stimme. Auch ihren einzigen Vertrauten, den überaus intelligenten, alten Papagei Lucien hasste Orestes und verabscheute dessen krähend herausgepressten Ratschläge.
So war es vielleicht gar kein Wunder, dass der melancholische Prinz nach dem Tod seiner Grossmutter jeden Lärm in seinem Reich verbot. Es durfte weder gesungen noch gestritten werden und Lucien verbannte er in einen Käfig ganz am Ende seines kleinen Reichs. Dort vegetierte Lucien vor sich hin und wäre sicherlich elend zugrunde gegangen, wenn nicht ein hübsches, mitleidiges Mädchen namens Violante ihn heimlich versorgt hätte.
Violante diente als Hofdame im Palast. Dort hatte sie bei ihrer Ankunft Orestes zum ersten Mal gesehen und sich unsterblich in ihn verliebt. Doch obwohl sie ihm oft begegnete und ihn dann mit ihren grossen dunklen Augen anschaute, hatte der Prinz sie niemals bemerkt.
Denn Orestes mied andere Menschen und keiner hatte ihn jemals lächeln gesehen. Er konnte es einfach nicht.
Sicher kannst du dir vorstellen, wie freudlos die Herrschaft unter Orestes war. Sogar die Singvögel mieden sein Land, und wenn er welche einfangen liess, dann sangen sie nicht in ihren goldenen Käfigen und starben bald.
Das Volk wurde immer unzufriedener und als ein offener Aufstand drohte, sah sich der üblicherweise äußerst lethargische und stets hungrige Ministerpräsident Camillo veranlasst, mit dem jungen Herrscher ein ernstes Wort zu sprechen.
Camillo sprach sich dafür aus, den weisen Papagei Lucien sofort zu begnadigen und dessen Rat zu suchen. Aber Orestes konnte sich nicht entscheiden.
So suchte Camillo allein den alten Vogel in seinem Gefängnis auf, um die Angelegenheit zu ventilieren. Wie zu erwarten war Lucien nicht gut auf Orestes zu sprechen, aber schliesslich gelang es Camillo mit Hilfe von Violante doch, seine Hilfe zu gewinnen.
Luciens Analyse ging dahin, dass der Kern allen Übels darin liege, dass der Prinz nicht lächeln könne. Erst wenn das behoben werde, werde sich alles zum Guten wenden.
Ein Plan wurde ausgearbeitet, der darin bestand, Lucien als Professor Krauss zu verkleiden, den führenden internationalen Experten für Lächelmechanik. Der riesige Käfig, in dem Lucien gefangen gehalten wurde (und der nun offen war, denn Camillo hatte den Schlüssel), sollte als Königliches Institut für die Physik und Metaphysik des Lächelns umdekoriert werden. Sobald das erfolgt war sollte Camillo mit Orestes in einem Ballon herfliegen und Lucien würde dann sein Bestes versuchen.
So kam es dann auch. Der verkleidete Lucien erklärte dem staunenden Orestes seine abstruse Theorie, wonach die Form des menschlichen Lächelns maßgeblich vom Gewicht der Nase beeinflusst werde. Orestes Problem sei im Kern, dass seine Nase zu leicht sei, zu wenig Druck auf die Mitte des Mundes ausübe und sich deshalb die Mundwinkel nicht nach oben bewegen könnten. Theoretisch könne man das heilen, indem man ein Bleiimplantat in die Nase bringe, aber leider, leider seien alle praktischen Versuche bisher aufgrund von unerwünschten Nebenwirkungen gescheitert, weshalb er diese Methode auch nicht empfehle. Vielmehr habe er die von ihm selbst entwickelte, brandneue metaphysische Technik des „centrifugal push“ im Sinne, die hier sicher angezeigt sei.
Zuvor müsse Orestes sich aber die Art des Lächelns aussuchen, das er in Zukunft tragen wolle. Aus seinem Katalog von fast 1.000 Varietäten schlug der Professor zuerst das „Tapfere Lächeln“ (Nr. 604) vor, immerhin recht passend für einen Herrscher. Auf einer kleinen Bühne wurde dieses Lächeln von einem Model präsentiert. Doch der Prinz konnte sich nicht begeistern.
Die nächste Empfehlung war das „Geheimnisvolle Lächeln“ (Nr. 824). Doch Camillo war besorgt, dass Orestes Untertanen dieses Lächeln nicht würden deuten können, da sie ihren Herrn ja bisher überhaupt noch niemals lächeln gesehen hatten.
Schliesslich zog Professor Krauss die Karte mit dem „Lieben Lächeln“ (Nr. 611) hervor. Hm, Hm, das könnte vielleicht gehen.
Auch dieses Lächeln wurde vorgeführt, aber diesmal nicht von einem männlichen Model, sondern von Violante. Und als diese so auf der Bühne stand und ihn anlächte, verliebte sich Orestes auf der Stelle in sie und begann selbst zu lächeln.
So wurde doch noch alles gut. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie heute noch.
Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, Figaros Hochzeit, Eigenbrödler Verlag, Berlin 1905
Gekauft bei ZVAB für € 15,00 plus Versandkosten.
Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais (1732 – 1799) hatte ein ungewöhnlich wildes Leben: Sohn eines Uhrmachers, Feierfürst, vom Vater auf die Strasse gesetzt, reumütig zurück gekehrt, Uhrmacherlehre gemacht, die Ankerhemmung für mechanische Uhren erfunden, zum superreichen Finanzjongleur aufgestiegen, den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg mitfinanziert, Voltaires Gesamtwerk verlegt, mit „Figaros Hochzeit“ eine der erfolgreichsten Komödien des 18. Jahrhunderts geschrieben (die Vorlage für Mozarts Oper) nach der Revolution verarmt gestorben.
Dieses Leben ist für sich schon ein Buch wert und tatsächlich gibt es eine Beaumarchais-Biographie in deutscher Sprache. Derzeit aber nur im Gebrauchtbuchhandel:
Manfred Flügge, Figaros Schicksal, Deutscher Taschenbuch Verlag, München: 2001.
Gekauft bei Amazon für € 6,63.
„Figaros Hochzeit“ aus dem Eigenbrödler Verlag ist eine aussergewöhnlich liebevoll besorgte Ausgabe. Halbleder mit Goldprägung, Vergoldung am oberen Schnitt. Das Papier ist Bütten, deshalb etwas an den Rändern wie ausgefranst. Der Druck in einer ausgesuchten Frakturschrift ist sehr sauber und gleichmäßig.
Die deutsche Übersetzung von 1785 wurde noch von Beaumarchais autorisiert. Keine Angst, die Sprache ist nicht trocken und verdreht, fast alle Gags kommen nach all den Jahren immer noch.
Die Ausgabe ist mit 12 Kupferstichen von Daniel Chodowiecki (1726 – 1801) ausgestattet, dem populärsten deutschen Grafiker und Illustrator seiner Zeit.
Beaumarchais verfügte über einen sprühenden Wortwitz und ein gutes Gefühl für Charaktere und komische Situationen. Seine Personen verkommen dabei aber nie zur Karikatur.
Er kritisiert das feudale System und den Adel. Deshalb dauerte es mehrere Jahre, bis sein Werk die Zensur passierte. König Ludwig XVI. von Frankreich war strikt gegen eine Aufführung des Stücks und liess sogar eine Privataufführung im Schloss von Versailles vor adligen Theaterfreunden abrupt abbrechen. Seine Frau Marie Antoinette liebte die Komödie und setzte schliesslich ihre Freigabe durch.
Lieblingszitat:
Figaro: O, welch seltsame Folge von Zufällen!
Warum geschieht mir das?
Warum gerade das und nichts anderes?
Wer hat das bestimmt?
Den Weg, den ich gehen muss, habe ich betreten, ohne es zu wissen,
und ich werde ihn wieder verlassen, ohne es zu wollen.
Ich habe ihn mit so vielen Blumen bestreut, wie meine Fröhlichkeit hergab.
Ich sage meine Fröhlichkeit, doch weiss ich nicht mal, ob sie mir gehört,
mehr als alles andere. Nicht einmal, wer dieses Ich ist, weiß ich:
die Formlosigkeit unerkennbarer Teile;
ein schwaches Geschöpf;
ein kleines, tolles Tier;
ein vergnügungssüchtiger junger Mann,
der alles genießt,
alles macht, um zu leben,
mal Herr ist, mal Diener, wie es dem Schicksal gefällt;
ehrgeizig aus Eitelkeit, fleissig aus Not, aber faul – mit Wonne!
Redner, wenn Gefahr droht; Dichter zur Erholung;
Musiker bei Gelegenheit; und verliebt, wenn es ihn trifft;
ich habe alles gesehen, alles getrieben, alles genossen.
Niccolò Machiavelli, Der Fürst, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart: 2016
Ein sehr berühmtes Buch, über das schon sehr viel geschrieben worden ist (Friedrich der Grosse verfasste sogar einen Anti-Machiavell).
Das wirklich Neue an Machiavellis Staatslehre war, dass er nicht beschrieb, wie ein guter Herrscher und ein guter Staat im Idealfall sein sollen, sondern was ein Machthaber tun muss, um seine Macht zu erhalten.
Denn dieses Ziel, die Erhaltung der Macht, ist nach Machiavelli das oberste Herrschaftsprinzip, dem der Fürst alle anderen Ziele unterordnen muss.
In einer Art technischer Analyse führt der Autor brilliant, nüchtern und schonungslos auf nur 101 Seiten vor, welche Gefahren einem Herrscher drohen und wie er damit umgehen kann. Machiavelli hatte ein so außergewöhnlich gutes Gespür für psychologische Mechanismen, dass sein Werk ein zeitloser Erfolg wurde und auch heute noch als Pflichtlektüre für Politiker und Manager gilt.

Dabei fällt allerdings auf, wie grandios Machiavelli mit seinem Unternehmen scheiterte, das doch eine Anleitung für erfolgreiches Regierungshandeln sein sollte. Weder gelang es ihm, die Gefahren seiner eigenen politischen Tätigkeit frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden, noch lag er mit seinen Prognosen zur Entwicklung eines italienischen Staates richtig. Mit seiner Schrift wollte er die Einheit Italiens voran bringen und widmete sie deshalb 1516 Lorenzo di Medici, auf den er die grössten Hoffnungen setzte. Lorenzo eroberte dann allerdings nicht ganz Italien sondern nur das kleine Herzogtum Urbino, bevor er schon 1519 mit nur 27 Jahren starb.

Vorbild des perfekten Fürsten war für Machiavelli jedoch nicht der Medici-Spross, sondern Cesare Borgia der uneheliche Sohn Papst Alexander VI.:
Cesare Borgia erwarb die Herrschaft mit der glücklichen Hilfe seines Vaters und verlor sie wieder mit dessen Tod, obwohl er jedes Mittel benützte und alles tat, was ein kluger und tüchtiger Mann tun musste.
Cesare Borgia galt als grausam. Trotzdem hat diese Grausamkeit die Romagna geordnet und geeinigt und ihr wieder Frieden und Ergebenheit gebracht. Wenn man alles genau betrachtet, wird man finden, dass er viel barmherziger war als das Volk von Florenz, das, um dem Ruf der Grausamkeit zu entgehen, die Zerstörung von Pistoja zuliess.
Zur Grausamkeit Cesare Borgias schrieb dagegen Jacob Burckhardt:
Als aber der Papst mit der Zeit unter die Herrschaft seines Sohnes geriet, nahmen die Mittel der Gewalt jenen völlig satanischen Charakter an, der notwendig auf die Zwecke zurückwirkt.
Aus dem Ziel des unbedingten Machterhalts leitet Machiavelli ab, dass ein Fürst jede Grausamkeit und jeden Betrug anwenden muss, falls das unumgänglich ist:
Ein Mensch, der immer nur das Gute möchte, wird zwangsläufig zugrunde gehen inmitten von so vielen Menschen, die nicht gut sind. Daher muss sich ein Herrscher, wenn er sich behaupten will, zu der Fähigkeit erziehen, nicht allein nach moralischen Gesetzen zu handeln sowie von diesen Gebrauch zu machen, je nachdem es die Notwendigkeit erfordert.
Jeder sieht ein, wie lobenswert es für einen Herrscher ist, wenn er sein Wort hält und ehrlich, ohne Verschlagenheit seinen Weg geht. Trotzdem sagt uns die Erfahrung unserer Tage, dass gerade jene Herrscher Bedeutendes geleistet haben, die nur wenig von der Treue gehalten und es verstanden haben, mit Verschlagenheit die Köpfe der Menschen zu verdrehen
Ein kluger Machthaber kann und darf daher sein Wort nicht halten, wenn ihm dies zum Schaden gereichen würde und wenn die Gründe weggefallen sind, die ihn zu seinem Versprechen veranlasst haben. Wären die Menschen alle gut, so wäre dieser Vorschlag nicht gut; da sie aber schlecht sind und das gegebene Wort auch nicht halten würden, hast auch du keinen Anlass, es ihnen gegenüber zu halten.
Solche Ratschläge, die wie eine Rechtfertigung von Cesares Handlungen klingen und sicher auch so gedacht waren, haben Machiavelli selbst einen ganz üblen Ruf eingebracht. Man wirft ihm vor, dass er Unmoral und Grausamkeit als handlungsleitende Prinzipien empfiehlt (den sogenannten „Machiavellismus“).
Aber das stimmt nicht. Wie bereits erwähnt war er zwar der Meinung, dass ein Fürst vor Betrug und Gewalt nicht zurückschrecken darf, aber nur dann, wenn diese Mittel als einzige übrig bleiben.
Wenn du Machiavelli verstehen willst, dann musst du auch seinen moralischen Ansatz sehen, denn er glaubte, dass ein erfolgreicher Staat in aller Regel einer ist, in dem Recht und Gesetz herrschen und die Untertanen gut behandelt werden:
Die beste Festung, die es gibt, ist, beim Volk nicht verhasst zu sein.
Es kann sehr wohl vorkommen, dass man gefürchtet und doch nicht verhasst ist. Einem Herrscher wird dies stets gelingen, wenn er sich nicht an der Habe und den Frauen seiner Mitbürger und Untertanen vergreift.
Der Fürst zeigt übrigens, wie wenig auch die klarsichtigste Analyse der Vergangenheit bei zukünftigem Handeln hilft. Wenn wir scheitern in dieser Welt, dann meistens an der Diskrepanz zwischen deren Überkomplexität und unserer Illusion, dass sie doch eigentlich ganz einfach sein muss. Leider gilt das ganz besonders bei Fragen von Krieg und Frieden.

Aber in diesem Punkt war der nüchterne Machiavelli ein Idealist:
Es ist mir nicht unbekannt, dass viele der Meinung waren und noch sind, dass die Dinge dieser Welt so sehr vom Glück und von Gott gelenkt werden, dass die Menschen mit all ihrer Klugheit nichts gegen ihren Ablauf ausrichten können, ja, dass es überhaupt kein Mittel dagegen gibt. Daraus könnte man folgern, man solle sich nicht viel mit den Dingen abquälen, sondern sich vom Zufall leiten lassen … Doch da wir einen freien Willen haben, halte ich es nichtsdestoweniger für möglich, dass Fortuna zur Hälfte Herrin über unsere Taten ist, dass sie aber die andere Hälfte oder beinahe so viel uns selber überlässt