Seit biblischen Zeiten ist die Ehre der Frau nicht privat sondern ein öffentliches Gut. Das kann lebensgefährlich sein – vor allem für die Frau. Davon erzählen die Geschichten aus dem Alten und dem Neuen Testament und die Bilder von Rembrandt, Rubens und Artemisia Gentileschi.
Die Geschichte von Samson und Delilah stammt aus dem Alten Testament, dem Buch der Richter (16, 4-21). Sie berichtet von einem unbesiegbar starken Mann, der sich in eine schöne Frau verliebt, die ein falsches Spiel mit ihm treibt. Ein Held im Kampf, aber ein Trottel in der Liebe, verrät er Delilah das Geheimnis seiner Kraft. Die verkauft ihn an seine Gegner, die ihn gefangen nehmen und blenden. Die ehrlose, weil listige, Frau und der gutmütige, weil verliebte, Mann – so können wir den Fall sehen. Aber es gibt auch eine ganz andere Interpretation, nämlich die der missbrauchten und missbrauchenden Frau im Machtspiel gewalttätiger Männer.
Doch lassen wir zunächst die Bibel zu Wort kommen:
Richter 16, 4-21
Danach geschah es, dass er sich in eine Frau im Tal Sorek verliebte; sie hieß Delila.
Die Fürsten der Philister kamen zu ihr hinauf und sagten zu ihr: Versuch ihn zu betören und herauszufinden, wodurch er so große Kraft besitzt und wie wir ihn überwältigen und fesseln können, um ihn zu bezwingen! Jeder von uns gibt dir dann elfhundert Silberstücke.
Darauf sagte Delila zu Simson: Sag mir doch, wodurch du so große Kraft besitzt und wie man dich fesseln kann, um dich niederzuzwingen.
Simson sagte zu ihr: Wenn man mich mit sieben frischen Sehnen fesselt, die noch nicht getrocknet sind, dann werde ich schwach und bin wie jeder andere Mensch.
Die Fürsten der Philister brachten ihr also sieben frische Sehnen, die noch nicht getrocknet waren, und sie fesselte ihn damit, während man bei ihr in der Kammer saß und lauerte.
Dann rief sie ihm zu: Philister über dir, Simson!
Er aber zerriss die Sehnen, wie ein Zwirnfaden reißt, wenn er Feuer nur riecht. Doch das Geheimnis seiner Kraft wurde nicht bekannt.
Darauf sagte Delila zu Simson: Du hast mich getäuscht und mir etwas vorgelogen. Sag mir doch endlich, womit man dich fesseln kann!
Er erwiderte ihr: Wenn man mich mit neuen Stricken fesselt, mit denen noch keine Arbeit getan worden ist, werde ich schwach und bin wie jeder andere Mensch.
Delila nahm also neue Stricke und band ihn damit. Dann rief sie ihm zu: Philister über dir, Simson, während man in der Kammer saß und lauerte.
Er aber riss die Stricke von seinen Armen wie Fäden.
Darauf sagte Delila zu Simson: Bis jetzt hast du mich getäuscht und mir etwas vorgelogen. Sag mir doch, womit man dich fesseln kann!
Er erwiderte ihr: Wenn du die sieben Locken auf meinem Kopf mit den Kettfäden des Webstuhls verwebst. Sie schlug sie mit dem Pflock fest. Dann rief sie ihm zu: Philister über dir, Simson!
Er fuhr aus dem Schlaf hoch und riss den Webepflock mit den Kettfäden heraus.
Darauf sagte sie zu ihm: Wie kannst du sagen: Ich liebe dich!, wenn mir dein Herz nicht gehört? Jetzt hast du mich dreimal getäuscht und mir nicht gesagt, wodurch du so große Kraft besitzt. Und es geschah, als sie ihm mit ihrem Gerede jeden Tag zusetzte und ihn bedrängte, wurde er es zum Sterben leid; er legte ihr sein ganzes Herz offen und sagte zu ihr: Kein Schermesser ist mir auf den Kopf gekommen; denn ich bin vom Mutterleib an Gott als Nasiräer geweiht.
Würden mir die Haare geschoren, dann würde meine Kraft von mir weichen; ich würde schwach und wäre wie jeder andere Mensch.
Da sah Delila, dass er ihr sein ganzes Herz offengelegt hatte. Sie schickte hin und rief die Philisterfürsten und ließ ihnen sagen: Kommt diesmal her! Denn er hat mir sein ganzes Herz offengelegt. Die Philisterfürsten kamen zu ihr herauf und brachten das Geld mit hinauf.
Delila ließ Simson auf ihren Knien einschlafen, rief nach dem Mann und schnitt dann die sieben Locken auf seinem Kopf ab. So begann sie ihn zu überwinden und seine Kraft wich von ihm.
Dann rief sie: Philister über dir, Simson! Er erwachte aus seinem Schlaf und dachte: Ich werde auch diesmal wie bisher entkommen und mich freischütteln. Denn er wusste nicht, dass der HERR von ihm gewichen war.
Da packten ihn die Philister und stachen ihm die Augen aus.
Rembrandts Sicht

Rembrandts Wahl der Szene erscheint widersprüchlich: Wir finden Samson und Delilah im Schlafzimmer neben dem Bett, das auf der rechten Seite im Dunkeln liegt, aber doch deutlich zu erkennen ist. Das Paar scheint in eine Art Morgenmäntel gekleidet zu sein. Für die Privatheit der Szene spricht, dass ihre Füsse unbekleidet sind. Auf der anderen Seite trägt Samson aber eine Waffe, die von einem locker gebundenen Stoffgürtel herabhängt, was seltsam ist angesichts der intimen Umstände.
Samson schläft im Schoß der Delilah und man fragt sich, wie es wohl dazu gekommen sein mag. Hatten sich die beiden zum Liebespiel ins Bett zurückgezogen, waren dann aufgestanden und hatten Hauskleider angelegt? War Samson, nachdem er sich bewaffnet hatte, ganz plötzlich ermüdet? Hatte Delilah sich auf dem Boden niedergelassen, damit ihr Liebhaber sich niederlegen konnte? Aber warum auf dem Boden? Warum nicht auf dem Bett?
Als Rembrandt sein Bild malte, lebte er in Leiden. Diese Stadt war besonders fanatisch, wenn es um die Umsetzung der calvinistischen Lehre ging. Insbesondere die Darstellung von Nacktheit war äußerst verpönt. Möglicherweise finden wir darin den Grund für die Widersprüchlichkeit der Szene. Wenn das zutrifft, dann war sie ein Kompromiss um das Motiv überhaupt darstellen zu können ohne Ärger zu bekommen.
Während Samson schläft naht von hinten ein Häscher der Pharisäer, den Dolch in der Hand. Er sieht ängstlich aus, unsicher ob Samson wirklich alle Kraft verloren hat.
Delilah schaut zu ihm zurück, ebenfalls ängstlich. Aber Rembrandt sagt noch mehr über sie: Sie wirkt hilflos zwischen zwei bewaffneten Männern. In gewisser Weise ist sie ein doppeltes Opfer. Zum einen das Opfer des Mannes, dem sie sich aus Berechnung hingab, der nun schwer wie ein Sack auf ihr lastet und sie am Ort des blutigen Geschehens festhält. Und zum anderen das Opfer der Pharisäer, zu deren Instrument sie sich machen liess und deren grausamer Plan nun vor ihren Augen vollzogen werden wird, ohne dass sie sich herauswinden kann. Die kommenden Schreie, die in ihren Ohren gellen werden, und das Blut, das auf ihre weisse Haut spritzen wird, sie sind die Strafe für ihren Verrat.
Rubens’ Sicht

Im Gegensatz zu Rembrandts Darstellung platzt Rubens’ Bild fast vor Körperlichkeit. Sein Samson ist kein nasser Sack, sondern ein muskulöser Renaissance-Held, der, erschöpft vom Liebesspiel, im Schoss der Geliebten auf dem zerwühlten Lager eingeschlafen ist. Kleider und Dekoration sind opulent, farbenfroh und lustvoll. Hier herrscht nicht grau-brauner, bescheiden-spartanischer Calvinismus, sondern römische Pracht und katholische Herrlichkeit.
Im Jahr 1609 war Rubens gerade aus Rom nach Antwerpen zurückgekehrt und Hofmaler Erzherzog Albrechts, des Regenten der spanischen Niederlande geworden. Im diesem Jahr hatte Albrecht eine Niederlage gegen die aufständischen nördlichen Provinzen hinnehmen müssen. Der Gegenreformation, die geschworen hatte, den Calvinismus in den Niederlanden auszulöschen, blieb nur noch die Propaganda. Bilder waren nun eines ihrer wichtigsten Mittel im Kampf der Systeme. Sie sollten die Ungebildeten lehren und ihnen Geschichten erzählen von Macht und Reichtum der spanischen Herrschaft und des katholischen Glaubens.
Samson schläft, Delilah ist hellwach. Zwar ruht der mächtige Mann auf ihr und hält sie fest, aber sie ist kein Opfer. Auf ihren Wink sind zwei Mägde herangeschlichen, die Samson nun seine Kraft nehmen werden. Und im Hintergrund drängeln schon Soldaten, bereit zum blutigen Handwerk, sobald Delilah das Kommando gibt.
Aber was ist das eigentlich für eine Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren. Gibt es neben der Intrige der Frau und der Lust des Mannes auch noch etwas mehr?
Delilahs Hand ruht sanft, fast zärtlich auf Samsons Schulter. Sie schaut auf ihn hinab, mitleidig, ein leises, bedauerndes Lächeln liegt auf ihren Lippen. Es ist der letzte Moment vor dem Ausbruch der Gewalt, die Ruhe vor dem Sturm. Ja, sie hat ihn wirklich gemocht, diesen starken und doch so schwachen Liebhaber, der ihr nun alles gegeben hat, was er je besaß.
„Die Ehre der Frau“ – alle Posts:
Samson und Delilah
Lucretia
Susanna im Bade
Bei der Recherche habe ich mich auf folgende Quellen gestützt:
- Dash, Mike, „Tulpenwahn. Die verrückteste Spekulation der Geschichte“, 1999, München: Verlagshaus Goethestraße.
- Garrard, Mary D., „Artemisia Gentileschi“, 1989, Princeton: Princeton University Press.
- Livius, Titus, „Römische Geschichte“, 1987, München: Artemis-Verlag
- Schama, Simon, „Rembrandts Augen“, 2000, Berlin: Siedler Verlag.
- Schütze, Sebastian, „Caravaggio – Das vollständige Werk“, 2009, Köln: Taschen Verlag.
Stellen aus der Bibel werden zitiert nach www.bibleserver.com
Weitere Daten und alle Bilder wurden aus der deutschen Wikipedia übernommen.
Titelbild dieses Posts: Rubens. Samson und Delilah. 1609 ca. Öl auf Holz. 185 × 205 cm. London, National Gallery.
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