Paul Rudolf Carnap, meist kurz Rudolf Carnap, (* 18. Mai 1891 in Ronsdorf, heute Stadtteil von Wuppertal; † 14. September 1970 in Santa Monica, Kalifornien) war ein deutscher Philosoph und einer der Hauptvertreter des logischen Empirismus.
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Der österreichische Philosoph Rudolf Carnap war überzeugt,
dass Wahrnehmung vollständig sprachlich ausgedrückt werden kann.
Der Gehalt eines Satzes besteht in der Möglichkeit, andere Sätze aus ihm abzuleiten; sind aus zwei Sätzen dieselben anderen ableitbar, so haben die beiden Sätze denselben Gehalt, unabhängig davon, was für Vorstellungen wir mit ihnen zu verknüpfen pflegen.
(347-348)
Dafür entwickelte er eine „Protokollsprache“, die über die einfachsten Phänomene der Wahrnehmung berichten sollte.
Wir stellen uns … das Verfahren [zur Erstellung von Protokollsätzen] so schematisiert vor, als würden alle unsere Erlebnisse, Wahrnehmungen, aber auch Gefühle, Gedanken usw. … zunächst schriftlich protokolliert
(321)
Ein ursprüngliches Protokoll würde vielleicht so lauten: „Versuchsanordnung: an den und den Stellen sind Körper von der und der Beschaffenheit (z.B. ‚Kupferdraht‘; vielleicht dürfte statt dessen nur gesagt werden: ‚ein dünner, langer, brauner Körper‘, während die Bestimmung ‚Kupfer‘ durch Verarbeitung früherer Protokolle, in denen derselbe Körper auftritt, gewonnen wird); jetzt hier Zeiger auf 5; zugleich dort Funke und Knall, dann Ozongeruch.“
(321-322)
Unter „Protokollsätzen“ wollen wir jetzt immer die Sätze ursprünglicher Protokolle verstehen. Die Sprache, der diese Sätze angehören, wollen wir die „Protokollsprache“ nennen. (Sie wird auch als „Erlebnissprache“ oder „phänomenale Sprache“ bezeichnet …).
(322)
Solche Phänomene waren für ihn etwa die Dinge. Farben und Formen hielt er für nachträgliche Abstraktionen.
Die einfachsten Sätze der Protokollsprache beziehen sich auf das Gegebene; sie beschreiben die unmittelbaren Erlebnisinhalte oder Phänomene, also die einfachsten erkennbaren Sachverhalte.
Frage: Welche Gegenstände sind Elemente des Gegebenen, unmittelbare Erlebnisinhalte?
Erste Antwort: Elemente des Gegebenen sind die einfachsten Sinnesempfindungen und Gefühle.
Zweite Antwort: Die Einzelempfindungen sind nicht unmittelbar gegeben, sondern Ergebnis einer abstraktiven Zerlegung. Gegeben sind vielmehr umfassende Gebilde …
Dritte Antwort: Elemente des Gegebenen sind die Dinge; ein dreidimensionaler Körper wird als solcher unmittelbar wahrgenommen, nicht etwa nur nacheinander verschiedene zweidimensionale Projektionen.
Dies sind drei Beispiele für gegenwärtig vertretene Auffassungen … Die erste kann man als atomistischen Positivismus bezeichnen; es ist etwa die Auffassung von Mach. Sie erscheint uns heute meist nicht mehr einleuchtend; die Einwände, die die … Gestaltpsychologen gegen sie erhoben haben, enthalten zumindest manches Berechtigte. Daher wird man heute eher zu einer der Auffassungen der zweiten Art neigen.
(322-324)
Einen Satz „verstehen“ bedeutete für Carnap, zu wissen, welcher Sachverhalt ihn wahr macht.
Jeder Satz soll zur Prüfung auf Protokollsätze zurückgeführt werden können, oder ansonsten sinnlos sein.
Ist der durch einen Satz p beschriebene Sachverhalt zurückführbar auf Sachverhalte des Gegebenen, auf unmittelbare Erlebnisinhalte des S, so hat S grundsätzlich die Möglichkeit zur Nachprüfung von p. Dann kennt S den „Sinn“ von p, denn der Sinn besteht in der Methode der Nachprüfung, in der Zurückführung auf das Gegebene. Steht irgendein Satz p nicht in Ableitungszusammenhang mit Sätzen über das Gegebene, so ist p für S nicht verstehbar, sinnlos. Denn einen Satz „verstehen“ heisst: wissen, welche möglichen Sachverhalte des Gegebenen (mögliche unmittelbare Erlebnisinhalte) bestehen, wenn p wahr ist.
(325)
Die Sprache der Wissenschaft soll die physikalische Sprache sein, denn sie sei in jedem Fall auf Protokollsätze reduzierbar.
Wie steht es mit der These der Universalität der physikalischen Sprache, wenn wir die Sätze der Protokollsprache betrachten? Die These würde hier besagen, dass auch die Sachverhalte des Gegebenen, die unmittelbaren Erlebnisinhalte, physikalische Sachverhalte, also raum-zeitliche Vorgänge sind. Diese These wird sicherlich auf Widerspruch stossen; man wird einwenden: „Der Regen mag ein physikalischer Vorgang sein; aber doch nicht … mein Wahrnehmungserlebnis eines gegenwärtigen Regens …“
(339-340)
Die physikalische Sprache ist dadurch charakterisiert, dass ein Satz einfachster Form (z.B. „An dem und dem Raum-Zeit-Punkt beträgt die Temperatur so und so viel“) die Beschaffenheit einer bestimmten Raum-Zeit-Stelle zu einer Zeit quantitativ angibt.
(326)
Die Bestimmung: „Ton von der und der Höhe, Klangfarbe und Lautstärke“ der Protokollsprache … ist zugeordnet der Bestimmung der physikalischen Sprache: „Materielle Schwingung von der und der Grundfrequenz, den und den Oberfrequenzen mit den und den Amplituden.“
(328)
In der Folge gilt, dass die physikalische Sprache auch die Sprache der Psychologie und der Geisteswissenschaften sein muss.
Die Anwendung unserer These auf das Gebiet der Psychologie stösst meist auf heftigen Widerspruch. Die These besagt hier, dass alle Sätze der Psychologie von physischen Vorgängen sprechen (nämlich von den physischen Vorgängen am Körper und besonders am Zentralnervensystem des betr. Subjektes); … mit anderen Worten jeder psychologische Begriff bedeutet eine bestimmte physikalische Beschaffenheit derartiger Körpervorgänge.
(336)
Sätze der Geisteswissenschaften, die nicht auf Protokollsätze reduzierbar sind, sollen sinnlos sein.
In den sogenannten „Geisteswissenschaften“ oder „Kulturwissenschaften“, wie sie gegenwärtig vorliegen, findet man bei logischer Analyse noch häufig Scheinbegriffe, nämlich solche, die keine korrekte Definition haben, für die also keine empirischen Kriterien festgesetzt sind; solche (Schein-)Begriffe sind daher nicht auf das Gegebene zurückführbar, also bedeutungslos.
(337)
Überlegung
- Aber Carnap kann nicht zeigen, dass seine Protokollsprache wirklich grundlegend ist, …
- … denn deren Begriffe sind selbst theoriebeladen.
Literatur
Blatti, S. and S. Lapointe (eds.), 2016, Ontology After Carnap, Oxford: Oxford University Press.
Friedman, M., 2004, Carnap, Cassirer, Heidegger. Geteilte Wege, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch.
Polanyi, Michael, 1958, Personal Knowledge, Chicago: University of Chicago Press.
Richardson, A.W. and T.E. Uebel (eds.), 2007, The Cambridge Companion to Logical Empiricism, New York: Cambridge University Press.
Richardson, A., 1998, Carnap’s Construction of the World: The Aufbau and the Emergence of Logical Empiricism, Cambridge: Cambridge University Press.
Russell, B., 1914, Our Knowledge of the External World as a Field for Scientific Method in Philosophy, LaSalle, IL: Open Court.
Spohn, W. (ed.), 1991, Erkenntnis: Special Volume in Honor of Rudolf Carnap and Hans Reichenbach, Volume 35, Numbers 1–3.
Textstellen zitiert nach: Carnap, Rudolf, 2006. „Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft“ (1932), in Wiener Kreis. Texte zur wissenschaftlichen Weltauffassung, M. Stöltzner und T. Uebel (Hg.), Hamburg: Meiner.
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Literatur aus der Stanford Encyclopedia of Philosophy.