Die Künstler von Deià / Maler / Mati Klarwein
Mati Klarwein war ein Mensch, der auffiel. Sein Freund Serge Bramly glaubt, dass das nicht nur an seinem äußeren Erscheinungsbild lag – einsfünfundneunzig groß und gut aussehend. Er hatte vielmehr eine natürliche Eleganz und die Aura des einsamen Wolfs. Beides zog sofort den Blick an, wenn man einen Raum voller Leute betrat, in dem sich Mati befand.
„Der berühmteste unbekannte Maler der Welt“ – so beschrieb er sich selbst, weil eine große, internationale Öffentlichkeit zwar einzelne Bildmotive –insbesondere die von Carlos Santana für sein „Abraxas“-Cover übernommene „Annunciation“ – kannte, aber nicht den Maler und sein Werk.
Tatsächlich ist sein besonderer Beitrag zur Malerei des zwanzigsten Jahrhunderts in ganz unverdientem Maße nicht nur unbekannt sondern auch unbeachtet geblieben.
Leben
Obwohl Matis Leben außerordentlich bewegt war, lassen sich dessen Stationen doch an einigen bemerkenswerten Bauwerken festmachen.
Die Knesset
Mati Klarwein wurde am 09. April 1932 in Hamburg geboren. Sein Vater war der Architekt Josef Klarwein und seine Mutter die Opernsängerin Elsa Kühne (dann Klarwein).
Josef Klarwein arbeitete als angestellter Architekt und seine Spezialität waren Kirchenbauten. Er war kunstinteressiert und vom Bauhaus und vom Expressionismus beeinflusst. Sein bedeutendstes Werk in Deutschland ist die Kirche am Hohenzollernplatz in Berlin, ein expressionistischer Bau, der 1934 fertig gestellt wurde.
Da Josef Klarwein Jude war, wirkte sich die Judenverfolgung der Nazis ab Anfang der dreißiger Jahre nachteilig auf seine Karriere aus. Besonders erbost zeigte sich ein führender Vertreter der Reichsarchitektenkammer darüber, dass ausgerechnet ein Jude christliche Kirchen entwarf.
1934 wanderte Josef Klarwein deshalb mit seiner Frau und dem kleinen Kind in das britische Mandatsgebiet Palestina aus, das dann 1948 zum Staat Israel werden sollte. Hier machte er sich erfolgreich als Architekt selbstständig.
Sein Sohn Mati interessiert sich schon früh für Kunst und Malerei. Aber anders als sein Vater beeindruckte ihn vor allem die Renaissance. Die Schule wiederum beeindruckte ihn gar nicht. Er war bockig und schwänzte den Unterricht. Da er nicht beschnitten war, machten sich seine Mitschüler lustig und ihn zum Einzelgänger.
Der Junge war schwierig und hatte nichts im Kopf außer malen. Schweren Herzens nahm sein Vater ihn von der Schule und meldete ihn 1947 mit nur 15 Jahren an der renommierten Bezalel Art Academy in Jerusalem an, wo er etwa ein Jahr lang unterrichtet wurde.
Matis Mutter hatte sich in Israel nie wirklich zuhause gefühlt und als es im Zuge der Gründung des Staates Israel zu Unruhen und Konflikten kam, reichte es ihr endgültig. Sie packte ihre Sachen und zog 1948 mit ihrem pubertierenden Sohn nach Paris. Die beiden lebten in einer Wohnung an der Place Dauphin, mitten in der Stadt auf einer Insel in der Seine, fast gegenüber vom Louvre.
Glücklicherweise schätzte Elsa das besondere Talent ihres Sohnes und schickte ihn zur privaten Kunstschule Academie Julian. Diese Academie war Ende des neunzehnten Jahrhunderts gegründet worden, ursprünglich um junge Künstler auf die strenge Aufnahmeprüfung an der staatlichen Ecole des Beaux Arts vorzubereiten. Im Lauf der Jahre hatte sie sich einen hervorragenden Ruf erarbeitet und zahlreiche bedeutende Künstler wie Henri Matisse, Fernand Léger und Marcel Duchamp waren hier ausgebildet worden. Mati war an der Academie Julian von 1949 bis 1956 eingeschrieben. Von 1949 bis 1951 lernte er darüber hinaus im privaten Altelier von Fernand Léger, der als Kubist und Surrealist die Entwicklung der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts mit geprägt hatte. Hier bei Léger, praktisch direkt neben dem berühmten Moulin Rouge im Vergnügungsviertel von Paris, begegnete er dem Surrealismus. Besonders beeindruckt war er von „Ein andalusischer Hund“, dem Film von Luis Buñuel und Salvador Dalí. Seit dieser Zeit bewunderte er Dalí, von dem er später sagte: „Ich las Dalís Autobiografie ‚The Life of Salvador Dalí’ als ich zwanzig war und war danach nicht mehr die gleiche Person. Ich lernte ihn zehn Jahre später in New York kennen und wir trafen uns regelmäßig dort oder in Paris während der sechziger und frühen siebziger Jahre. Er war mein spiritueller Vater und manche dachten sogar, ich sei ein unehelicher Sohn von ihm.“
In Paris erwachte in dieser Zeit kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges das künstlerische und gesellschaftliche Leben wieder. Der Wiener Maler Ernst Fuchs, ein bedeutender Vertreter des Phantastischen Realismus, zog 1949 zusammen mit seinem Freund Friedensreich Hundertwasser nach Paris und lebte dort zunächst in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen. Mati lernte ihn kennen und brachte ihn mit nach Hause, wo Mutter Elsa ihm erst mal etwas kochte. Schnell entwickelte sich ein besonderer Deal: Ernst brachte Mati die Mischtechnik bei, eine raffinierte Technik der Renaissance, und Mati sorgte dafür, dass Ernst eine feste Anlaufstelle in Elsas Küche hatte.
Bei der Mischtechnik handelt es sich um ein Malverfahren, bei dem sowohl mit Tempera als auch mit Ölfarben gemalt wird. Temperafarben, die mit Ei, Wasser und Leinöl angerührt werden, setzen die hellen und Ölfarben, die mit Harz und Terpentinöl angerührt werden, die dunklen und die kräftigen Farbflächen.
In mehreren Durchgängen werden viele Farbschichten übereinander gesetzt, erst mit mageren (mehr Wasser), dann mit immer fetteren (mehr Öl) Mischungen. Da die unteren Schichten durchscheinen, ergibt dieses Lasurverfahren eine besondere, leuchtende Tiefenwirkung.

Gar nicht weit von Matis Wohnung entfernt, auf der benachbarten Seine-Insel Île Saint-Louis residierte im Hôtel Lambert der sagenumwobene Lebemann Alexis Baron de Redé (den Mati 1959 portraitierte), der beste Gastgeber von Paris. Hier verkehrten die Reichen und Berühmten, der internationale Jet-Set der fünfziger Jahre. Auf seinem legendären Bal des Têtes trafen sich 1956 der junge Yves Saint-Laurent, die Herzogin von Windsor, die Rothschilds und viele andere. Paris war wieder die leuchtende Stadt und wie gemacht für einen jungen gut aussehenden Mann, der ganz erstaunliche Portraits zu malen verstand.

Mati, der eigentlich ein berühmter Filmregisseur werden wollte, fühlte sich von der High Society angezogen und machte seine ersten wichtigen Bekanntschaften. Dabei schadete es sicher nicht, dass sein Vater mittlerweile ein international angesehener Architekt war, der 1957 den Entwurfswettbewerb zum Bau der Knesset gewonnen hatte, dem neuen israelischen Parlament.
Die Sommer verbrachte Mati nun in Saint Tropez, er lernte die junge Schauspielerin Brigitte Bardot kennen, die er zeichnete, und er portraitierte Geraldine Chaplin. Mit seiner älteren, wohlhabenden und verheirateten Geliebten Kitty Lillaz unternahm er weite Reisen.

Das Haus über der Cala
Im Jahr 1953 langweilte sich Mati gerade auf einem Schiff auf der Überfahrt nach Ibiza, als ein Sturm aufkam. Der Kapitän war gezwungen den Hafen von Palma de Mallorca anzulaufen und Mati erinnerte sich, dass ein Freund aus Paris, der vor einiger Zeit auf diese Insel gezogen war, ihn schon mehrfach eingeladen hatte. So beschloss er, Bill Walden einen Besuch in Deià abzustatten.

Jeder, der schon mal in Deià war, kennt den Moment, wenn er, von Valldemossa kommend, um die letzte Kurve biegt und sich das Tal mit dem Ort auf der kegelförmigen Anhöhe zum ersten Mal dem Blick öffnet. Für viele Besucher beginnt in diesem Moment eine Liebe auf den ersten Blick – und genau so ging es Mati.

Den plötzlichen Wechsel der Kulturen, dem er als kleines Kind ausgesetzt war, hatte er nicht als traumatisch erlebt, sondern als inspirierend. Zeit seines Lebens liebte er das Mittelmeer. Hier fand er alles, was er suchte: die Sonne, das Meer und die Felsen, die sich in unendlicher Geduld von der Sonne tränken, vom Wind schleifen und vom Wasser polieren ließen. Hier fand er die Freunde, mit denen er den kurzen Hauch von Ewigkeit feiern konnte, den man „Leben“ nennt. Hier fand er sein wirkliches Zuhause.
Und weil du da, wo du dich zuhause fühlst, ein Haus bauen sollst, tat Mati genau das. Mit Hilfe seines Vaters entstand 1961 eine einfache Casita an einem der schönsten Plätze im Tal von Deià, direkt über der Cala. Das ganze Projekt kostete ihn 6.000 Dollar und um es finanzieren zu können malte er in zwei Monaten fünf Auftragsportraits für reiche Kunden vom spanischen Festland.

Er konnte es kaum abwarten, einzuziehen mit seinen LPs, seinen Congas, seiner Staffelei, vielen Farben und dem fast fertigen Bild „Flucht nach Ägypten“, an dem er schon seit zwei Jahren arbeitete. In diesem Jahr hatte er bereits „Artist and Model“ fertig gestellt, in gewisser Weise ein Abschiedsgruß an Paris, dessen Dächer du durch das Atelierfenster des Bildes erkennen kannst. Es war zugleich der Abschied von seiner Jugend und von seinem bisherigen Stil.
Teil 2: Deià, New York und zurück – die wilden Jahre mit Salvador, Andy und Jimi
Teil 3: Kein psychedelischer Künstler – aber ohne Mati wäre Psychedelische Kunst nicht das, was sie ist
Teil 4: Eine Frage des Stils – der Vergleich mit anderen psychedelischen Positionen
Teil 5: Das Gesamtwerk – ein kurzer Überblick über Porträt, Landschaft, und andere Genres
Teil 6: Schaffensperioden – von den Formationsjahren bis zum Spätwerk