Werner Karl Heisenberg (* 5. Dezember 1901 in Würzburg; † 1. Februar 1976 in München) zählt zu den bedeutendsten Physikern des 20. Jahrhunderts. Er gab 1925 die erste mathematische Formulierung der Quantenmechanik an und formulierte 1927 die nach ihm benannte Heisenbergsche Unschärferelation, eine der fundamentalen Aussagen der Quantenmechanik, für deren Begründung er 1932 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde.
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Die Quantenphysik beobachtet und beschreibt atomare Phänomene wie Photonen und Elektronen.
Jedes physikalische Experiment, gleichgültig, ob es sich auf Erscheinungen des täglichen Lebens oder auf Atomphysik bezieht, muss in den Begriffen der klassischen Physik beschrieben werden. Diese Begriffe der klassischen Physik bilden die Sprache, in der wir die Anordnung unserer Versuche angeben und die Ergebnisse festlegen. Wir können sie nicht durch andere ersetzen. Trotzdem ist die Anwendbarkeit dieser Begriffe begrenzt durch die Unbestimmtheitsrelation.
(27)
Nach Heisenberg beeinflusst jede Art von Beobachtung die Existenz dieser Objekte.
Es [sollte] doch wenigstens im Prinzip möglich sein …, das Elektron in seiner Bahn zu beobachten. Man könnte, so scheint es, das Atom einfach durch ein Mikroskop mit einem sehr hohen Auflösungsvermögen anschauen … ein Mikroskop, das 𝛾-Strahlen benützt, mit einer Wellenlänge, die kleiner ist als die Grösse des Atoms, müsste zur Beobachtung genügen … Der Ort des Elektrons wird mit einer Genauigkeit bekannt sein, die durch die Wellenlänge des 𝛾-Strahls gegeben ist … In dem Akt der Beobachtung muss mindestens ein Lichtquantum des 𝛾-Strahls durch das Mikroskop durchgegangen und vorher vom Elektron abgelenkt worden sein. Daher hat das Elektron von dem Lichtquant einen Stoss erlitten, es hat seine Bewegungsgrösse und seine Geschwindigkeit geändert … [Es] genügt schon das erste Lichtquant, um das Elektron aus dem Atom herauszuschlagen, und man kann nie mehr als einen Punkt der Elektronenbahn beobachten. Man gerät also nicht in Widerspruch mit der Erfahrung, wenn man behauptet: es gibt gar keine Elektronenbahn im herkömmlichen Sinne.
(30f.)
Man muss berücksichtigen, dass das System, das nach den Methoden der Quantenmechanik behandelt werden soll, in Wirklichkeit Teil eines sehr viel grösseren Systems eventuell der ganzen Welt ist. Es steht in Wechselwirkung mit diesem grösseren System, und wir müssen hinzufügen, dass die mikroskopischen Eigenschaften des grösseren Systems wenigstens in einem erheblichen Umfang unbekannt sind … das [kleinere] System könnte gar nicht der Gegenstand von Messungen und theoretischen Untersuchungen sein, es würde tatsächlich überhaupt nicht zur Welt der Erscheinungen gehören, wenn keine Wechselwirkung es mit einem grösseren System verbände, von dem der Beobachter ein Teil ist.
(171f.)
Bohr gebraucht den Begriff „Komplementarität“ in der Deutung der Quantentheorie an verschiedenen Stellen. Die Kenntnis des Ortes eines Teilchens ist komplementär zu der Kenntnis seiner Geschwindigkeit oder seiner Bewegungsgrösse … Die raum-zeitliche Beschreibung von Atomvorgängen ist komplementär zu ihrer kausalen oder deterministischen Beschreibung. Die Wahrscheinlichkeitsfunktion genügt einer Bewegungsgleichung, ähnlich wie die für die Koordinaten in der Newtonschen Mechanik. Ihre Änderung im Laufe der Zeit ist durch die quantenmechanischen Gleichungen vollständig bestimmt, aber sie liefert keine raum-zeitliche Beschreibung des Systems. Durch die Beobachtung andererseits wird eine raum-zeitliche Beschreibung erzwungen. Aber sie unterbricht den durch die Rechnung bestimmten Ablauf der Wahrscheinlichkeitsfunktion, indem sie unsere Kenntnis des Systems ändert.
(33)
Unsere tatsächliche Lage bei der Untersuchung eines atomaren Vorganges ist gewöhnlich die folgende: Wir wollen ein bestimmtes Phänomen verstehen, wir wollen erkennen, wie dieses Phänomen aus den allgemeinen Naturgesetzen folgt. Daher ist der Teil der Materie oder Strahlung, der an der Erscheinung teilnimmt, der natürliche „Gegenstand“ in der theoretischen Behandlung und sollte in dieser Hinsicht von den Werkzeugen getrennt werden, die man benützt, um die Erscheinungen zu studieren. Damit wird wieder ein subjektives Element in der Beschreibung der atomaren Vorgänge hervorgehoben, denn die Messanordnung ist ja vom Beobachter konstruiert worden; und wir müssen uns daran erinnern, dass das, was wir beobachten, nicht die Natur selbst ist, sondern Natur, die unserer Art der Fragestellung ausgesetzt ist.
(41)
In der Beobachtung realisiert sich eine von mehreren Seinsmöglichkeiten als Phänomen.
In der Tat glaube ich, dass die Sprache, die bei den Physikern gebräuchlich ist, wenn sie über Atomvorgänge sprechen, in ihrem Denken ähnliche Vorstellungen hervorruft wie der Begriff „Potentia“. So haben sich die Physiker allmählich wirklich daran gewöhnt, die Elektronenbahnen und ähnliche Begriffe nicht als eine Wirklichkeit, sondern eher als eine Art von „Potentia“ zu betrachten.
(174f.)
In den Experimenten über Atomvorgänge haben wir es mit Dingen und Tatsachen zu tun, mit Erscheinungen, die ebenso wirklich sind wie irgendwelche Erscheinungen im täglichen Leben. Aber die Atome oder die Elemetarteilchen sind nicht ebenso wirklich. Sie bilden eher eine Welt von Tendenzen oder Möglichkeiten als eine von Dingen oder Tatsachen.
(180)
Jede Erklärung der Phänomene führt demnach zu prinzipiellen Unbestimmtheiten und Widersprüchen.
Die theoretische Deutung eines Experiments [erfordert] drei deutlich unterschiedene Schritte. Im ersten wird die experimentelle Ausgangssituation in eine Wahrscheinlichkeitsfunktion übersetzt. Im zweiten wird diese Funktion rechnerisch im Laufe der Zeit verfolgt. Im dritten wird eine neue Messung am System vorgenommen, deren zu erwartendes Ergebnis dann aus der Wahrscheinlichkeitsfunktion berechnet werden kann. Für den ersten Schritt ist die Unbestimmtheitsrelation eine notwendige Vorbedingung. Der zweite Schritt kann nicht in den Begriffen der klassischen Physik beschrieben werden. Es ist unmöglich, anzugeben, was mit dem System zwischen der Anfangsbeobachtung und der nächsten Messung geschieht. Nur im dritten Schritt kann wieder der Wechsel vom Möglichen zum Faktischen vollzogen werden.
(29f.)
Deshalb kann die Quantenthorie die Gewissheit ihrer Wahrnehmungsurteile nicht garantieren.
Betrachten wir etwa ein Atom, das sich in einem geschlossenen Kasten bewegt, der durch eine Wand in zwei gleiche Teile geteilt ist. In der Wand sei ein kleines Loch, so dass das Atom gelegentlich hindurchfliegen kann. Nach der klassischen Logik kann dann das Atom entweder in der linken oder in der rechten Hälfte des Kastens sein. Es gibt keine dritte Möglichkeit … In der Quantentheorie aber müssen wir zugeben, sofern wir die Wörter „Atom“ und „Kasten“ überhaupt verwenden wollen, dass es noch andere Möglichkeiten gibt
(176)
Jede Aussage, die nicht identisch ist mit einer der beiden alternativen Aussagen … wird komplementär zu diesen Aussagen genannt. Für jede komplementäre Aussage ist die Frage, ob sich das Atom links oder rechts befindet, unentschieden. Aber der Ausdruck „unentschieden“ ist keineswegs äquivalent zu zu dem Ausdruck „unbekannt“. „Unbekannt“ würde bedeuten, dass das Atom in Wirklichkeit links oder rechts ist, dass wir nur nicht wissen, wo es ist. Aber „unentschieden“ deutet eine davon verschiedene Situation an, die nur durch eine komplementäre Aussage dargestellt werden kann.
(178)
Die Physik, glaubte Heisenberg, muss das Ideal einer unabhängigen Realität teilweise aufgeben.
[Zu den grundlegenden Vorstellungen der traditionellen Wissenschaftssprache gehört die Annahme], dass die Vorgänge in Raum und Zeit geschehen unabhängig davon, ob sie beobachtet werden oder nicht. Es wurde natürlich nicht bestritten, dass jede Beobachtung einen gewissen Einfluss auf die Erscheinung ausübt, die beobachtet werden soll, aber es wurde allgemein angenommen, dass man diesen Einfluss … beliebig klein machen könnte. Dies erschien in der Tat als eine notwendige Bedingung für die Verwirklichung des Ideals von Objektivität, das als die Grundlage für alle Naturwissenschaften galt.
(167)
Was mir an dieser Art des Argumentierens [d. h. an der Verwendung des quantentheoretischen Arguments der prinzipiellen Unbestimmbarkeit aufgrund der Störung des beobachteten Systems durch die Beobachtung (z.B. durch die Interaktion des Systems mit Messgeräten)] nicht gefällt, ist die nach meiner Überzeugung unhaltbare positivistische Grundeinstellung, die mir mit dem Berkeleyschen Grundsatz „esse est percipi“ zusammenzufallen scheint. Das „Sein“ ist immer etwas von uns gedanklich Konstruiertes, also von uns (im logischen Sinne) frei Gesetztes. Die Berechtigung solcher Setzungen liegt nicht in ihrer Ableitbarkeit aus dem Sinnlich-Gegebenen. Eine derartige Ableitbarkeit (im Sinne einer logischen Deduzierbarkeit) gibt es nie und nirgends, auch nicht in der Domäne des vorwissenschaftlichen Denkens. Die Berechtigung der Setzungen, die für uns das „Reale“ repräsentieren, liegt allein in deren vollkommenerer oder unvollkommenerer Eignung, das Sinnlich-Gegebene „intelligibel“ zu machen (der vage Charakter dieses Ausdrucks ist mir hier durch das Streben nach Kürze auf- gezwungen). Auf das gewählte besondere Beispiel angewendet, sagt diese Überlegung folgendes:
Man kann nicht einfach fragen: „Existiert ein bestimmter Zeitpunkt für den Zerfall eines Einzelatoms“, sondern nur: „Ist es im Rahmen unserer theoretischen Gesamtkonstruktion vernünftig, die Existenz eines bestimmten Zeitpunktes für den Zerfall eines Einzelatom zu setzen?“ Man kann nicht einmal fragen, was diese Setzung bedeutet. Man kann nur fragen, ob eine solche Setzung im Rahmen des gewählten Begriffssystems im Hinblick auf dessen Leistung, das empirisch gegebene theoretisch zu erfassen, vernünftig ist oder nicht.
(Albert Einstein (1951), 496)
Überlegung
- Mit der graduellen Aufgabe von unabhängiger Existenz und Gewissheit nähert sich die naturwissenschaftliche Position der phänomenologischen an.
Literatur
Heisenberg, Werner, 1959. Physik und Philosophie, Stuttgart: Hirzel.
Heisenberg, Werner, 1963. „Über den anschaulichen Inhalt der quantentheoretischen Kinematik und Mechanik“ (1927), in Die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie, A. Hermann (Hg.), Stuttgart: Ernst Battenberg.
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Bohr, Nils, 1951. „Diskussion mit Einstein über Erkenntnistheoretische Probleme in der Atomphysik“, in Schilpp (1951).
D’Espagnat, B., 1996. „Quantentheorie und Realität“ (1980), in Neusser / Neusser-von Oettingen (1996), 56-69.
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Held, Carsten, 1999. Die Bohr-Einstein-Debatte. Quantenmechanik und physikalische Wirklichkeit, Paderborn: mentis.
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Van Fraassen, Bas C., 1991. Quantum Mechanics. An Empiricist View, Oxford: Clarendon Press.
Textstellen zitiert nach: Heisenberg, Werner, 1959. Physik und Philosophie, Stuttgart: Hirzel.
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Biographische Information aus der deutschen Wikipedia.
Abbildung: Skizze von Nils Bohr zu einem von Albert Einstein erdachten Experiment (aus: Bohr 1951).