Maurice Merleau-Ponty (* 14. März 1908 in Rochefort-sur-Mer; † 3. Mai 1961 in Paris) war ein französischer Philosoph und Phänomenologe.
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Maurice Merleau-Ponty lehnte Positionen ab, die Sinnesdaten oder Qualitäten postulieren.
Ein Gesichtsfeld setzt sich nicht aus Lokaldaten zusammen.
(S. 249)
Der Empirismus kennt die Natur bloß als Summe von Reizen und Qualitäten. Von dieser Natur aber zu behaupten, sie sei, auch nur intentional, unser erster Wahrnehmungsgegenstand, ist absurd: ihre Erfahrung ist später als die der Kulturgegenstände, oder vielmehr gehört sie zu dieser selbst.
(S. 258f)
Seiner Meinung nach physikalisieren und intellektualisieren solche Theorien die Vorstellung von Wahrnehmung.
Unvermeidlich musste eine nach universaler Objektivierung strebende Wissenschaft dahin gelangen, den menschlichen Organismus vorzustellen als ein physisches System, das Reizen unterliegt, die ihrerseits sich definieren durch physisch-chemische Beschaffenheiten; musste sie ferner bemüht sein, auf dieser Grundlage dann die wirkliche Wahrnehmung erst zu konstruieren.
(S. 252f)
Immer werden die Atome der Physik wirklicher scheinen […] als das Bewusstsein – solange man dabei bleibt, die Gestalt dieser Welt, das Leben, die Wahrnehmung, den Geist konstruieren zu wollen, anstatt in der Erfahrung, die wir von all dem haben, die nächste Quelle und das letzte Richtmaß aller Erkenntnis von alledem zu erkennen.
(S. 256f)
Gegenstände nehmen wir nicht wahr, weil sie existieren, sondern sie existieren, weil wir sie wahrnehmen.
Wahrnehmung ist kein Erkenntnis- sondern ein Sinngebungsakt, die Frage nach ihren Ursachen ist für ihn deshalb sinnlos.
Wahrnehmen im vollsten Sinne des Wortes, nämlich im Unterschied zur Einbildung, ist etwas durchaus anderes als Urteilen, nämlich Erfassen eines jedem Urteil zuvor dem Sinnlichen eigenen Sinns.
(S. 263)
Es ist eben dies das phänomenale Wesen des Wahrnehmungsaktes, die Konstellation des Gegebenen mit dem es verbindenden Sinn in eins schöpferisch erst entstehen zu lassen: nicht bloß den Sinn zu entdecken, den es hat, sondern ihm einen Sinn erst zu geben.
(S. 265)
Wahrnehmung ist eben gerade diejenige Aktart, welche die Trennung des Aktes selbst von seinem Gegenstand nicht zulässt.
(S. 288f)
Die Konstitution von Gegenständen war für ihn, obwohl offensichtlich nützlich, nur eine von vielen Sinngebungen.
Die als Wirkung von Reizen auf unseren Körper definierte reine Empfindung ist ein „Endprodukt“ unserer Erkenntnis, und zwar unserer wissenschaftlichen Erkenntnis, es ist bloss eine – sehr natürliche – Täuschung, die sie uns an den Anfang setzen und aller Erkenntnis vorgängig glauben lässt.
(S. 266)
Ein Gegenstand ist ein Organismus von Farben, Düften, Tönen, Tasterscheinungen, die einander wechselseitig symbolisieren und modifizieren und miteinander zusammenstimmen in einer realen Logik, deren Analyse und Auslegung die längst nicht vollendete Aufgabe der Wissenschaft ist.
(S. 268)
Überlegung
- Aber wenn wir Wahrnehmung nicht als rein mental auffassen wollen, wie Berkeley das tat, dann muss neben dem Geben von Sinn auch irgendein Nehmen denkbar sein.
Literatur
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Biographische Information aus der deutschen Wikipedia.
Literatur aus Wiesing, 2015, sowie aus der Stanford Encyclopedia of Philosophy.