Charles Santiago Sanders Peirce (* 10. September 1839 in Cambridge, Massachusetts; † 19. April 1914 in Milford, Pennsylvania) war ein US-amerikanischer Mathematiker, Philosoph, Logiker und Semiotiker.
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Charles Sanders Peirce fand, dass nur Wahrnehmungsurteile Gegenstand philosophischen Untersuchung sein können.
Berkeley und die Nominalisten seiner Richtung leugnen, dass wir überhaupt irgendeine Idee von einem Dreieck im allgemeinen haben, das weder gleichseitig, gleichschenklig noch ungleichseitig ist. Aber er kann nicht leugnen, dass es Sätze über Dreiecke im allgemeinen gibt, Sätze, die entweder wahr oder falsch sind; und solange das der Fall ist, kümmert es mich als Logiker nicht, ob wir eine Idee des Dreiecks in irgendeinem psychologischen Sinne haben oder nicht.
(S. 196)
Die … Bevorzugung einer Klassifizierungsweise des Perzepts durch unsere Wahrnehmung zeigt, dass diese Klassifizierung in dem Wahrnehmungsurteil enthalten ist. Genauso verhält es sich mit dieser bekannten schattenfreien Umrisszeichnung einer Treppe in perspektivischer Darstellung. Wir scheinen zunächst von oben auf die Treppe zu schauen; doch irgendein unbewusster Teil des Geistes scheint bei dieser Deutung zu ermüden, und plötzlich scheinen wir die Treppe von unten zu sehen … Bei all diesen optischen Täuschungen verblüfft am meisten, dass eine bestimmte Theorie der Interpretation der Figur ganz den Anschein hat, in der Wahrnehmung gegeben zu sein. Wenn sie uns das erste Mal gezeigt wird, scheint sie so vollständig jenseits der Kontrolle rationaler Kritik zu sein wie jedes Perzept … Dies zeigt, dass diese Phänomene echte Bindeglieder zwischen Abduktionen und Wahrnehmungen sind.
(S. 198f.)
Die Wahrnehmung selbst hielt er für nicht zugänglich für die Logik.
Das Wahrnehmungsurteil … ist das Resultat eines Prozesses, der nicht genügend bewusst ist, um kontrolliert zu werden …
(S. 197)
Spekulationen darüber, was Wahrnehmung wirklich ist, führen seiner Meinung nach stets in einen unendlichen Regress.
Wenn wir diesen unbewussten Prozess einer logischen Analyse unterwerfen würden, so würden wir finden, dass er in dem endet, was jene Analyse als einen abduktiven Schluss repräsentieren würde, der auf einem Resultat aufbaut, den eine logische Analyse als durch einen ähnlichen abduktiven Schluss beendet repräsentieren würde und so weiter ad infinitum.
(S. 197)
Nehmen wir als Beispiel die Frage nach dem Übergang von nichtsprachlicher Erfahrung zu sprachlichem Wahrnehmungsurteil.
Eine Festlegung der Grenze zwischen Sehen und Erkennen ähnelt deshalb dem Paradox von Achill und der Schildkröte.
Diese Analyse wäre genau der analog, die der Sophismus von Achill und der Schildkröte … anwendet, und sie würde aus demselben Grunde darin scheitern, den realen Prozess zu repräsentieren. Nämlich genauso, wie Achill nicht eine Reihe voneinander getrennter Anstrengungen zu machen hat, wie er sie nach dieser Repräsentation zu machen hätte, so vollzieht dieser Prozess des Formens von Wahrnehmungsurteilen, weil er unbewusst ist und so der logischen Kritik nicht zugänglich, keine getrennten Akte des Schliessens, sondern sein Ablauf vollzieht sich in einem kontinuierlichen Prozess.
(S. 197)
Dieses entsteht, weil die Beschreibung des Wettlaufs nicht zu der Frage passt, wo Achill die Schildkröte überholt.
Das Gleiche gilt, meinte Peirce, auch für die Frage nach der Grenze zwischen Wahrnehmung und Erkenntnis.
Überlegung
- Aber wenn Urteile sich auf Wahrnehmungen beziehen und Wahrnehmungen Ursprung immer neuer Urteile sind dann kann auch zwischen Wahrnehmung und Urteil nicht sicher unterschieden werden.
Literatur
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Marty, Robert, 1982. “C. S. Peirce’s Phaneroscopy and Semiotics”, Semiotica 41 (1/4): 169–181.
Müller, Ralf, 1999. Die dynamische Logik des Erkennens von Charles S. Peirce, Würzburg: Königshausen & Neumann, besonders S. 15-25.
Pape, Helmut, 1981. „On a Connection between Peirce’s Theory of Perception and his Theory of Indexical Identiflcation“, in Proceedings of the C. S. Peirce Bicentennial International Congress, K. L. Ketner, M. Ransdell u. a. (Hg.), Lubbock: Texas Tech. University, S. 233-257.
Roesler, Alexander, 1999. Illusion und Relativismus. Zu einer Semiotik der Wahrnehmung im Anschluß an Charles S. Peirce, Paderborn, München, Wien und Zürich: Schöningh.
Rosenthal, Sandra B. und Bourgois, Patrick L., 1987. „Peirce, Merleau-Ponty and Perceptual Experience“, International Studies in Philosophy 19: 33-42.
Rosenthal, Sandra B., 1969. „Peirce’s Theory of Perceptual Judgment: An Ambiguity“‚ Journal of History of Philosophy 7: 303-314.
Rosenthal, Sandra B., 1984. „Temporality, Perceptual Experience and Peirce’s ‚Proofs of Realism‘“, Transactions of the Charles S. Peirce Society 20: 435-451.
Santaella, Braga L., 1993. „A Triadic Theory of Perception“, in Signs‚ Search and Communication, R. Jorna, B. van Heusden und R. Posaner (Hg.), Berlin und New York: de Gruyter, S. 39-47.
Textstellen zitiert nach: Wiesing, Lambert (Hg.), 2015. Philosophie der Wahrnehmung. Modelle und Reflexionen, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
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Biographische Information aus der deutschen Wikipedia.
Literatur aus Wiesing, 2015, sowie aus der Stanford Encyclopedia of Philosophy.