Bertrand Arthur William Russell, 3. Earl Russell (* 18. Mai 1872 bei Trellech, Monmouthshire, Wales; † 2. Februar 1970 in Penrhyndeudraeth, Gwynedd, Wales) war ein britischer Philosoph, Mathematiker und Logiker. Er unterrichtete unter anderem am Trinity College der Universität Cambridge, der London School of Economics, der Harvard University und der Peking-Universität. 1950 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
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Der englische Mathematiker und Philosoph Bertrand Russell war ebenfalls ein Vertreter der Sinnesdatentheorie.
Was können wir durch Beobachtung und Experiment erfahren? … Nur unmittelbare Sinnesdaten: gewisse Farbflecken, Töne, Gerüche etc., in Verbindung mit gewissen raumzeitlichen Relationen.
(S. 232)
Wenn ich von einem Sinnesdatum spreche, so meine ich … einen Teil des Ganzen, der durch die Aufmerksamkeit abgesondert werden kann: besondere Farbflecke, besondere Geräusche usw. Es besteht eine gewisse Schwierigkeit festzustellen, was man als ein Sinnesdatum betrachten soll
(S. 233)
Die Sinnesdaten zu den Zeitpunkten, da sie Sinnesdaten sind, sind alles, was wir direkt von der Aussenwelt kennen … Doch gibt die Tatsache, dass sie alles sind, was wir direkt kennen, kein Recht zu der Annahme, dass sie auch alles sind, was es überhaupt gibt.
(S. 234)
Gegenstände der Physik und des Alltags sollten Funktionen von Sinnesdaten sein, um durch diese verifiziert werden zu können.
In physikalischen Darlegungen erscheinen die Sinnesdaten als Funktionen physikalischer Objekte: wenn diese und jene Wellen das Auge treffen, sehen wir diese und jene Farben … Tatsächlich werden jedoch die Wellen aus den Farben erschlossen und nicht umgekehrt.
(S. 233)
Wenn … die Physik verifizierbar sein soll, stehen wir vor dem folgenden Problem: Die Physik zeigt Sinnesdaten als Funktionen physikalischer Objekte, doch ist eine Verifikation erst dann möglich, wenn physikalische Objekte als Funktionen von Sinnesdaten dargestellt werden können.
(S. 233)
Den Gegenstand definierte Russell als Klasse seiner Erscheinungen.
Das „Ding“ des gesunden Menschenverstandes kann tatsächlich mit der ganzen Klasse seiner Erscheinungen gleichgesetzt werden – wobei wir jedoch zu den Erscheinungen nicht allein die zählen dürfen, die wirklich Sinnesdaten sind, sondern auch all jene „Sensibilia“, die aufgrund der Kontinuität und Ähnlichkeit zum gleichen Erscheinungssystem gerechnet werden können, auch wenn es zufällig keinen Beobachter gibt, für den sie Sinnesdaten sind.
(S. 239)
Wenn die Klasse der Erscheinungen die Zwecke erfüllen soll, … denen der gesunde Menschenverstand verpflichtet ist, so verlangt die Ökonomie, dass wir das Ding mit der Klasse seiner Erscheinungen identifizieren. Man braucht deshalb nicht eine Substanz oder ein Substrat zu leugnen, das diesen Erscheinungen zugrunde liegt; es ist bloss ratsam davon abzusehen, die Existenz dieser ganz unnötigen Ganzheit zu behaupten.
(S. 240)
Da Sinnesdaten privat sind, benötigte die Theorie seiner Meinung nach eine Ergänzung – die „Sensibilia“.
Ich gebe den Namen Sensibilia jenen Objekten, die den gleichen metaphysischen und physikalischen Status wie die Sinnesdaten besitzen, ohne deshalb notwendigerweise Wahrnehmungen (data) eines bestimmten Geistes zu sein.
(S. 235)
Zwei „Orte“ ganz unterschiedlicher Art sind mit jedem Sinnesdatum verknüpft, nämlich der Ort, an dem es erscheint, und der Ort, von dem es erscheint … Was wir die verschiedenen Erscheinungen desselben Dinges für verschiedene Beobachter nennen, das liegt jedes in einem Raum, der nur dem betreffenden Beobachter eigen ist.
(S. 239)
Diese waren für ihn unabhängige Wahrnehmungsmöglichkeiten, die in der Wahrnehmung zu Sinnesdaten werden.
Wir werden sehen, dass alle Sinnesdaten Sensibilia sind. Es ist eine metaphysische Frage, ob auch alle Sensibilia Sinnesdaten seien, und eine erkenntnistheoretische Frage, ob es Mittel gibt, aus den Sensibilia, die Sinnesdaten sind, solche zu erschliessen, die keine sind.
(S. 235)
Sinnesdaten und Sensibilia definierte er als physische Entitäten.
Ich betrachte Sinnesdaten nicht als etwas Geistiges, sondern tatsächlich als einen Teil der physikalischen Materie.
(S. 235)
Mit „physisch“ meinte er lediglich, dass es Entitäten seien, mit denen sich die Physik befasst.
[Es wird] sich empfehlen, zu definieren, in welchem Sinne wir … „physisch“ verwenden wollen. Das Wort „physisch“ hatte in unseren ganzen bisherigen Darlegungen die Bedeutung „Womit sich die Physik beschäftigt“. Es ist auch klar, dass die Physik etwas über die Bestandteile der Tatsachenwelt aussagt; was diese Bestandteile ausmacht, mag zweifelhaft sein, sie sollen aber physisch genannt werden
(S. 236)
Sense-data und Sensibilia sollten die Philosophie befreien von metaphysischen Spekulationen über „primäre Qualitäten“ und „Dinge“.
Unser Vorgehen entspricht ganz dem, das aus der Philosophie der Mathematik jene überflüssige Menagerie metaphysischer Ungeheuer, die sie unsicher zu machen pflegen, verscheuchte.
(S. 240)
Überlegung
- Aber die These von Sinnesdaten scheint selbst eine Spekulation und von einem unendlichen Regress bedroht zu sein.
- Russel kann den Begriff jedenfalls nicht eindeutig definieren.
Literatur
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Textstellen zitiert nach: Wiesing, Lambert (Hg.), 2015. Philosophie der Wahrnehmung. Modelle und Reflexionen, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
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Literatur aus Wiesing, 2015, sowie aus der Stanford Encyclopedia of Philosophy.