

Wir haben nun zum zweiten Mal das Glück, dass eine Katze uns regelmäßig besucht. Manchmal glaube ich, dass es neben unserer Menschenwelt eine Katzen-Parallelwelt gibt, die sich mit unserer teilweise überlappt. Denn obwohl hier die Häuser direkt aneinander gebaut sind und die Straßen stark befahren werden, scheint es in den Gärten eine Art Netzwerk von herrenlosen Katzen zu geben, deren Reviere aneinander stoßen, ähnlich wie die Grundstücke der Häuser.
Du hast überhaupt nur die Chance, die Katze kennen zu lernen, in deren Revier dein Haus steht. Denn keine andere Katze darf da hinein – Katzen haben keine Gäste. Nachts hörst du von Zeit zu Zeit ein lautes Miauen, das sich anhört, als ob ein kleines Kind schreit – dann zanken sich Katzen an den Grenzen ihrer Territorien.
Eine neue Katze lernst du nur kennen, wenn die alte stirbt, denn dann übernimmt eine andere deren Revier.
Seit vielen Jahren, seit wir hierher zogen, kannten wir eine grauweisse Katze. Sie war sehr scheu und in den ersten 10 Jahren hatten wir keinen Kontakt zu ihr. Sie hat uns tatsächlich gemieden und, wenn sie vorbeischlich nur misstrauisch aus den Augenwinkeln beobachtet. Sie muss mal schlecht behandelt worden sein, denn Zeit ihres Lebens hatte sie Angst vor Füssen und mochte keine Männer.
Irgendwann vor einigen Jahren, als sie schon älter geworden war, gab es einen strengen Winter und sie entwickelte eine Art von Rheuma. Da ließ sie sich ins Haus locken. Und weil sie merkte, dass wir ihr nichts Böses taten und es drinnen im Warmen angenehmer war als draussen im Schnee, kam sie öfter und blieb länger.
So wurde sie ein Teil der Familie. Es dauerte aber lange, bis sie ihre Ängste überwand. In den ersten Jahren biss sie immer wieder mal nach Füßen oder kratzte heftig. Je älter sie wurde, um so zutraulicher und friedlicher wurde sie allerdings. Sie war eine angenehme Begleiterin in unserem Leben. Irgendwann wurde sie krank, übergab sich häufig und bekam Gleichgewichtsstörungen. Wir brachten sie zum Arzt, es war das Alter. Sie bekam winzig kleine Tabletten ins Essen gemischt, aber nach ein paar Tagen fischte sie die zielsicher heraus und frass sie nicht mit.
Und dann an einem schönen Tag im Frühling ging sie weg und kam nicht wieder.
Wir dachten, dass das Thema Katze sich damit erledigt hätte. Aber schon bald danach bekamen wir neuen Besuch. Unsere neue Katze ist noch ganz jung und braun gefleckt. Ihr Charakter ist ganz anders als der ihrer Vorgängerin – sie ist zutraulich und sehr verspielt. Gleichzeitig ist sie aber noch scheu und schreckhaft und ergreift schnell die Flucht. Meist kommt sie morgens früh und bleibt eine halbe Stunde oder eine ganze. Erst frisst sie, dann will sie bespasst werden und danach betreibt sie Körperpflege. Dann geht sie wieder ihrer Wege.
Ob sie jemandem richtig gehört? Keine Ahnung, vermutlich nicht. Das ist gerade das schöne an der Situation, dass wir die Katze nicht „besitzen“, dass sie nicht abhängig von uns ist. Irgendwie ist sie mit uns auf Augenhöhe. Sie bewahrt ihre Würde und das macht ihren Charme aus. Ich hoffe, sie kommt noch lange.

Nachtrag: Glücklicherweise hat sich meine Theorie als falsch heraus gestellt, dass man nur eine Katze im Revier kennen lernen kann. Plötzlich waren es zwei!