Die Künstler von Deià / Lebenskünstler / Hippies in L-S-Deià
Paul Arnabaldi war vielleicht der geheimnisvollste Mensch von Deià. Möglicherweise kam er Ende der fünfziger oder Anfang der sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts hier her. Man weiß es nicht genau und eigentlich ist nicht mal klar, ob er wirklich Arnabaldi hieß oder nicht doch Arnaboldi. Er war Amerikaner, soviel scheint sicher, und er erzählte, dass er in der Ölindustrie tätig gewesen sei bis zu einem Arbeitsunfall, der ihm eine große Abfindung eingebracht habe. Mit dem Geld führte er ein angenehmes Leben auf Mallorca – so jedenfalls ging seine Geschichte. Aber andere Geschichten berichten, dass er ein kleines Vermögen mit Spekulationen in den japanischen Yen gemacht hatte. Oder eine Erbschaft, oder mit Drogen handelte. Der Mann ist ein Geist und kein einziges Foto von ihm wurde jemals veröffentlicht.
Paul Arnabaldi führt uns mitten in eine wilde Szene und in die verrückte Zeit, in der die psychedelische Erweiterung des Bewußtseins viele kreative Menschen elektrisierte. Hier in Deià wurden bereits seit den fünfziger Jahren die Fäden gesponnen, die dann dazu führten, dass Millionen von jungen Leuten LSD-Trips einwarfen. Aber der Reihe nach.
Heilige Pilze
Im Jahr 1949 erhielt Robert Graves einen Brief von Valentina Wasson. Darin ging es um „Ich, Claudius“, seine berühmte Novelle, die Leben und Tod des römischen Kaisers Tiberius Claudius Caesar Augustus Germanicus (10 v.Chr. – 54 n.Chr.) in Form einer fiktiven Autobiographie nacherzählt. Claudius war vermutlich auf Veranlassung seiner Frau Agrippina vergiftet worden. Das Gift soll ihm in einem Pilzgericht verabreicht worden sein, seiner Lieblingsspeise.
Valentina Wasson brachte nun den Gedanken auf, dass nicht Gift unter die Pilze gemischt worden sei, sondern es sich um giftige Pilze gehandelt habe.
Auf die Spur gebracht hatte Valentina eine Textstelle bei Tacitus: „Sie [die von Agrippina eingesetzte Giftmischerin] wählte etwas ganz Ausgesuchtes, das den Verstand zerrüttete und den Tod verzögerte“. Dies deutete, folgte man Frau Wasson, auf einen giftigen, Pilz hin, möglicherweise den Grünen Knollenblätterpilz, der dem Kaiserling ähnelt, einem der beliebtesten Speisepilze der Antike.
Es entwickelte sich eine lebhafte Korrespondenz.
Robert Graves war inspiriert. Bei seinen Versuchen, in alten Legenden die Spuren von vorzeitlichen matriarchaischen Kulturen aufzuspüren, war er immer wieder auf rätselhafte Speisen und Getränke gestoßen, von denen die Texte mit einer heiligen Scheu berichteten. Graves glaubte, dass da auf den Fliegenpilz Bezug genommen wurde, von dem die alten Griechen annahmen, dass er durch silberne Blitze erzeugt wurde. Konnte es sein, dass die Prister dieser Kulte mit Hilfe von Pilzen Kontakt aufgenommen hatten zu den geheimnisvollen Göttinnen?

1953 schickte Graves den Wassons einen wissenschaftlichen Artikel, in dem es um alte magische Kulte in Mittelamerika ging. Auch diese Gemeinschaften schienen bei ihren Riten Pilze verzehrt zu haben, um eine Verbindung mit den Göttern herzustellen. Die Wassons begannen daraufhin mexikanische Pilzarten zu erforschen und stießen tatsächlich auf einige Spezies, deren Verzehr starke Halluzinationen und Offenbarungserlebnisse hervorriefen. Gordon Wasson reiste in den nächsten Jahren mehrfach nach Mexiko, konnte das Vertrauen einer Schamanin gewinnen und an der rituellen Einnahme solcher Pilze teilnehmen. 1957 veröffentlichte das amerikanische Magazin „Life“ einen Bericht über seine Entdeckungen.
Solche Substanzen faszinieren und ängstigen die Menschen schon immer gleichermaßen. Was, wenn du die Kontrolle verlierst und dein Verstannd sich verwirrt? Was, wenn du peinliche Sachen machst und für immer blamiert bist? Was, wenn du etwas über dich herausfindest, was du gar nicht wissen willst? Was, wenn du aus dieser fantastischen Welt nicht mehr zurückkehren willst?

Gordon Wasson unterhielt ein weit gespanntes Netzwerk und korrespondierte mit Aldous Huxley, der 1953 Begriff „psychedelisch“ (altgriechisch psyché = Seele und dêlos = offenbar sein) mit prägte.

Auch mit Albert Hofmann stand er in Kontakt, der schon zehn Jahre zuvor in der Schweiz LSD synthetisiert hatte. Ende der 50er lieferte Wasson mexikanische Pilze an Hofmann, der daraus den Wirkstoff Psilocybin gewann.
Robert Graves’ erster Trip
Im Januar 1960 unternehm Robert Graves eine Lesereise durch die USA, die ein großer Erfolg wurde. Am Abend des letzten Tages des Monats besuchte er Gordon Wasson in dessen Appartment an der East End Avenue in New York. Er war nun bereit für die magischen Pilze, die Gordon in Mexiko gefunden hatte.

Die luxuriöse Bibliothek lag im flackernden Dämmerlicht einer einzelnen Kerze. Der Boden war mit Teppichen und Kissen bedeckt. Gordon teilte die Pilze in Paare auf, 12 Paare für ihn, sechs Paare für Robert, sechs für einen weiteren Besucher. Es wurde heiße Schokolade gereicht, die die Teilnehmer schweigend tranken. Süß-würziges Harz wurde entzündet und die Pilze in seinem Rauch geschwenkt. Danach aß jeder seinen Teil. Sie schmeckten scharf und verströmten einen unangenehmen Geruch. Stille. Robert war konzentrierte und nahm sich vor, jede Wirkung genau zu beobachten. Aber das erste, was sich einstellte, war nur eine leichte Übelkeit.

Die Dinge begannen sich zu ordnen. Langsam, ganz langsam nahm das Flackern der Kerze den gleichen Rythmus an, wie das Pochen in seinen Schläfen. Das Muster des Teppichs, auf dem er saß, bewegte sich sanft, die Farben leuchteten intensiver, ein Licht schien von unten durch den Teppich zu dringen. Er saß auf einem großen Kaleidoskop und als er genauer hinsah erkannte er, dass in den Mustern weitere Muster eingeschlossen waren. Ein Schleier löste sich auf. Sein Blick, der immer genauer wurde, fokussierte sich auf Flächen, die nicht mehr stumpf und undurchsichtig waren, sondern leuchtende Tore zu einer tieferen Ebene des Teppichs. In diese Tiefen drang sein Blick nun, schärfer als jemals sahen seine Augen. Und in der glühenden Tiefe ahnte er neue Welten.
Plötzlich löschte Gordon die Kerze. Dunkelheit überfiel Robert wie ein kaltes, schwarzes Tier. Einen Moment war er irritiert, denn das Flackern, das seinen Puls angetrieben hatte, war weg. Er spürte keinen Herzschlag mehr. Panik kroch in ihm hoch. Musste er jetzt sterben? „Ja, ich sterbe jetzt“ dachte er. „Sterbe, sterbe, sterbe“ – sein Leben verhallte mit dem Echo seines letzten Gedankens. Er sah sich auf dem Teppich liegen. Dieser Körper, der er war, bewegte sich nicht, atmete nicht. Sein Geist hatte ihn verlassen mit einer wehmütigen Traurigkeit. So ist das also. So also, so also, so also.
Ein an- und abschwellender Gesang waberte durch den Raum und machte diesen biegsam. Unverständliche Laute. Ein scharf gesprochener Befehl, sanftes Murmeln.
Der Gesang trieb Roberts Gedanken, bestimmte die Richtung.
Sein Blick schien noch klarer zu werden. Er erkannte das Zimmer, obwohl Finsternis herrschte. Die Wände wurden durchsichtig und er sah den Baum, der vor dem Haus stand. Wieder löste sich ein Schleier aus Dunkelheit. Robert sah den Baum mit allen seinen Blättern. Jedes Blatt leuchtete anders und Robert wusste, dass dies alle Grüntöne waren, die es gab. Jedes Blatt ein Grün. Die Blätter bewegten sich und bildeten unaufhörlich neue Tönungen und Muster. Er hörte das Rauschen und Rascheln der Blätter. In den Mustern formte sich eine Schrift und im Rauschen vernahm er ein Flüstern. Hörte er, las er? Er verstand. Er verstand, dass jeder Baum, den er in seinem Leben gesehen hatte, nur ein Schatten gewesen war. Aber das, was er nun wahrnahm, war das, was diese Schatten verursacht hatte. Zum ersten Mal verstand er „den Baum“.
„Ich verstehe den Baum“ murmelte Robert. Und ihm wurde unmittelbar bewusst, dass jeder der diesen Satz verstand, ihn für unsinnig halten musste, wenn er – wie Robert selbst – durch diesen Satz hindurch gestiegen und damit auf ihm über ihn hinausgestiegen war. „Du musst die Leiter wegstoßen“ murmelte Robert. Oder hatte jemand anders das gesagt? Hatte er das im Gesang der Schamanin nur wieder erkannt?
Für einen Vortrag vor der New York Academy of Sciences suchte der Psychiater Humphrey Osmond 1957 nach einem übergeordneten Begriff für die neuen bewusstseinserweiternden Drogen. In einer Korrespondenz mit seinem Freund Aldous Huxley schlug er zunächst „psychotomimetic“ vor. (etwa „in einem Zustand sein, der einer Psychose ähnelt“).
Daraufhin schickte Huxley einen Reim zurück, mit dem er einen anderen Begriff ins Spiel brachte: “To make this trivial world sublime, take half a gram of phanerothyme.“ („phaneros“ bedeutet „sich offenbarend“ und „Thymos“ bedeutet „Geist“).
Osmond wies diesen Vorschlag in einem weiteren Brief wie folgt zurück: “To fall in Hell or soar angelic, you’ll need a pinch of psychedelic.“ („Psyche“ bedeutet „Bewußtsein“, „delos“ bedeutet „offenbarend“).
Er erinnerte sich an Platons Höhlengleichnis und war ganz neu überrascht von dessen tiefer Bedeutung. Die „Idee“ des Baumes war gar keine Definition, war auch kein Katalog von Merkmalen, war nicht die Summe aller möglichen Formen von Wahrnehmung. Platons Reich des nur Denkbaren war vielmehr ein Reich des Unaussprechlichen, in dem sich etwas vor jeder Sprache selbst offenbarte. Natürlich, Platons Rede musste zwangsläufig ungeschickt sein und irreführend, weil sie ja gerade von dem zu sprechen versuchte, was man nicht sagen kann. Der Baumes war das, was der Baum von sich offenbart hatte im sanften Schwingen und Rauschen seiner Blätter. Robert hatte ihn erkannt, tief in der Nacht als alle Schleier gefallen waren.
Der Baum war sein Freund. Freund? Freund, Freund, Freund. Robert spürte einen Druck auf seiner rechten Seite. Und weil er zugleich seinen Körper von außen sah, sah er, wie unförmig dick der geworden war. Seine Hose, sein Hemd, seine Weste, alles war vollgestopft mit mit Zetten. Die Zettel quollen aus seinen Taschen und lagen um ihn herum. Sie beengten ihn, bedrückten ihn, erstickten ihn. Auf jedem Zettel stand „Freund“. Jeden dieser Zettel hatte er im Laufe seines Lebens selbst geschrieben und irgendwo angeheftet. Nun, als er inne gehalten hatte, als in seiner Begegnung mit dem Baum der Strom der Zeit gefror, da waren sie zurückgekehrt zu ihrem Autor.
Der Morgen sickerte durch die schweren Vorhänge der Bibliothek als Robert Graves erwachte. Sein Kopf war nicht schwer, er verspürte keine Übelkeit. Er war ausgeruht und hatte das Gefühl, dass viel Arbeit vor ihm lag. Er würde schreiben…
Gordon Wasson betrat den Raum durch eine hohe doppelflügelige Tür, ging zum Fenster und zog die Vorhänge auf.
Das Harvard Psilocybin Projekt
In den fünfziger Jahren waren Aldous Huxley, Gordon Wasson, Robert Graves und andere Pioniere der Bewußtseinserweiterung der Meinung, dass psychedelische Substanzen geheim gehalten und nur einem ausgesuchten Kreis von Künstlern und Intellektuellen zugänglich gemacht werden sollten.

Mit Timothy Leary trat dann Anfang der sechziger Jahre ein Visionär auf, der einen ganz anderen Plan verfolgte und glaubte, dass die Zeit reif sei, die Gesellschaft im Sturm zu verändern. Als Dozent für Psychologie in Harvard war er auf den Bericht in „Life“ aufmerksam geworden. 1960 nahm Leary in Mexiko zum ersten Mal selbst Magic Mushrooms ein und hatte ein spirituelles Erlebnis. In der Mensa seiner Uni entwickelte er mit Aldous Huxley bei einer Pilzsuppe das Konzept für ein neues Forschungsvorhaben. Leary überzeugte die Universtät und so begann 1961 das „Harvard Psilocybin Projekt“. Im Rahmen des Projektes untersuchte er mit seinem Team unter anderem die Wirkung von Psilocybin auf Gefängnisinsassen und Theologiestudenten. Sandoz stellte die Substanz kostenlos zur Verfügung.
Tim Leary war ein außergewöhnlich unruhiger Geist. Wenn er zwischen Ordnung und Chaos wählen musste, dann entschied er sich für das Chaos. Er verursachte einen unaufhörlichen Wirbel von Aufregung, Fantasie, Inspiration und Aufmerksamkeit. Auch ohne Psylocibin war er kein nüchterner Wissenschaftler. Die unzureichende Organisation und das mangelhafte Berichtswesen führten zu einer wachsenden Verärgerung seiner Vorgesetzten. 1963 wurde das Projekt abgebrochen und Leary wegen Vernachlässigung seiner Lehrverpflichtungen entlassen.
Wenn du dich daran erinnerst, warst du du nicht dabei
Zu diesem Zeitpunkt hatte Tim Leary seine wissenschaftlichen Ziele aber schon längst begraben und zusammen mit dem Schriftsteller Allen Ginsberg einen politischen Ansatz entwickelt. Psilocybin sollte möglichst vielen Intellektuellen, Künstlern, Politikern und Prominenten zur Verfügung gestellt werden. Über die Medien sollte das Interesse an neuen, transzendentalen Erfahrungen geweckt werden, die in der Folge dann die gesamte Gesellschaft verändern würden.

1962 veranstaltete er in dem kleinen Ort Zihuatanejo an der mexikanischen Pazifikküste ein psychedelisches Sommercamp. Mehr als fünftausend Interessenten bewarben sich, aber nur 35 handverlesene Gäste verbrachten für 200 Dollar die Woche eine fröhliche Zeit im Hotel Catalina. Die ursprüngliche Regel war, dass ein Drittel der Gäste auf einem Trip war, ein anderes Drittel als „Tour-Guides“ arbeitete und Beobachtungsberichte schrieb und das verbleibende Drittel sich von den Strapazen der nächtelangen Parties erholte. Anstelle von Psilocybin hatte sich Leary mittlerweile dem LSD zugewendet. Das ganze Konzept war gut gemeint, ließ sich aber nicht umsetzen, weil nahezu alle permanent high waren oder schliefen.
Die Werbetrommel rief nicht nur viele Interessenten auf den Plan, sondern auch die Medien, die das Thema der bewußtseinserweiternden Drogen zum ersten Mal auf die nationale Agenda brachten. Die mexikanischen Behörden waren alles andere als amüsiert und als Tim sein Camp ein Jahr später wiederholen wollte (mit noch mehr Anmeldungen), deportierte die Polizei ihn und seine Gäste kurzerhand zurück über die Grenze.

Der Millionär Billy Hitchcock stellte ihm ein Anwesen in Millbrook, etwa 100 km nördlich von New York, zur Verfügung, ein riesiges Gelände mit mehreren Wohngebäuden. Das Haupthaus erreichte mit 60 Zimmern locker die Ausmaße eines kleinen Palastes.

Hier in Millbrook begann die junge psychedelische Bewegung ihren wilden Tanz, der niemals endete. Schriftsteller, Maler, Musiker, Soziologen, Psychologen, Medienleute, Unternehmer und Politiker strömten nach Millbrook, um ihren ersten Trip zu erleben. Sie tanzten, malten, musizierten. Sie rannten nackt über die Felder, sie liebten sich in der Küche, während andere zwischen Bergen von schmutzigem Geschirr ein Frühstück zubereiteten. Mehr kreatives Durcheinander ging nicht und das machte Millbrook so attraktiv.
Als Salvador Dalí im Mai 1964 seinen sechzigsten Geburtstag im New Yorker Luxushotel St. Regis feierte, eilte ein wilder Haufen aus Millbrook herbei.

Mati Klarwein, Freund von Dalí und einer der Künstler von Deià erlebte mit, wie diese Verrückten dem spanischen Surrealisten einen Leguan schenkten, den dieser später am Abend in einer Bar als Tip zurückließ.
Der lokalen Polizei konnten diese merkwürdigen jungen Leute und ihre endlosen Orgien nicht verborgen bleiben. Doch Tim gelang es immer wieder, mächtige Beschützer und Förderer zu aktivieren. Im Meditationsraum auf der dritten Etage, hoch über dem Durcheinander, plante er nichts weniger als die Eroberung der Welt. Im Spätsommer 1965 schickte er deshalb Michael Hollingshead nach London. Der sollte dort möglichst viele Rockmusiker auf den Trip bringen und für Ostern 1966 die Royal Albert Hall für eine riesige Veranstaltung mieten, bei der Leary sprechen und die psychedelische Revolution verkünden würde. Zunächst lief alles nach Plan, aber Anfang 1966 wurde der ständig zugedröhnte Michael festgenommen und kam in den Knast.
Die Logistik der Liebe
Hinter all der Erleuchtung und Weltverbesserung stand von Anfang an eine logistische Aufgabe, die im Lauf der Zeit immer schwieriger wurde. Denn schließlich konnte niemand auf einen Trip gehen, wenn es keine Trips gab.

Die aufblühende Kultur der Liebe brauchte eine Logistik, die die Beschaffung der Ausgangschemikalien, die Herstellung von LSD-25, das Tablettieren, den Transport und den Handel sicherstellen musste.
Bis zum Ende der fünfziger Jahre war es für Ärzte, Psychiater und Universitäten noch relativ leicht, sich LSD direkt beim Hersteller Sandoz in der Schweiz zu beschaffen. Michael Hollingshead zahlte 1960 nur 285 Dollar und erhielt dafür ein Gramm LSD. Zu der Zeit gab Sandoz die Substanz manchmal sogar kostenlos ab, weil nach geeigneten Anwendungsfeldern gesucht wurde.
Ab Anfang der sechziger Jahre wurde die Abgabe dann zunehmend eingeschränkt. Im Sommer 1963 unterstellte ein neues Gesetz alle experimentellen Pharmazeutika, darunter auch LSD, der Kontrolle der Food and Drug Administration (FDA). Daraufhin entschloss sich Sandoz, LSD nicht mehr für klinische Studien zur Verfügung zu stellen.
Ab 1964 lieferte Sandoz nichts mehr aus und stellte 1965 die Produktion offiziell ein. Alle Verträge mit Distributoren und medizinischen Institutionen wurden gekündigt und die restlichen Lagerbestände in den USA der FDA übergeben. Im Oktober 1966 wurde LSD in Kalifornien und anderen US-Staaten illegal, ab Oktober 1968 durch Bundesgesetz in den gesamten USA verboten.
Das bedeutete aber nicht, dass es nun kein LSD mehr gab, ganz im Gegenteil standen im Lauf der Jahre immer größere Mengen zur Verfügung. Wie konnte das geschehen?
Bereits in den frühen Fünfzigern hatte die CIA ein „Mind-Control“ Programm namens „MK-Ultra“ initiiert (der Film „Die Bourne Identität“ basiert auf dieser Geschichte). Im Rahmen dieses Programms wurde mit LSD sowohl an freiwilligen als auch an ahnungslosen Testpersonen experimentiert. Die CIA-Experimente verliefen jedoch enttäuschend bis katastrophal und wurden in den sechziger Jahren eingestellt.
Für diese Aktivitäten bediente sich die Agency einer ganzen Reihe von dubiosen Mittelsmännern und Scheinfirmen. Da aber niemand über die LSD-Bestände korrekt Buch führte, landeten am Ende große Mengen auf dem Schwarzmarkt, vertickt auf eigene Rechnung von den besagten Mittelsmännern.

Ein Großkonzern wie Sandoz hatte zudem in vielen Ländern Generalimporteure für pharmazeutische Produkte, die zunächst unkontrolliert LSD bestellen konnten. Clevere Importeure hatten sowohl die wachsende Nachfrage als auch die zunehmenden Liefereinschränkungen registriert und bedeutende Reserven gebunkert. Dabei ging es absolut gesehen nicht mal um große Mengen. Wenn du bedenkst, dass für einen Trip etwa 200 Mikrogramm ausreichen, dann genügt ein Gramm LSD für 5.000 Trips, ein Kilo für fünf Millionen. Einer der aktivsten und abenteuerlustigsten dieser Importeure war sicherlich Al Hubbard („Captain Trips“), der mit seiner Uranium Corporation von Vancouver aus seit den fünfziger Jahren den Schwarzmarkt in Nordamerika bediente.
Als Tim Leary 1960 den Plan entwickelte, möglichst viele Menschen auf den Trip zu bringen, begann er auch mit der Entwicklung einer entsprechenden Logistik. Bezugsquelle in diesen frühen Jahren war zunächst Sandoz, die Psilocybin für das Harvard Psilocybin Project lieferten. Seit 1961 setzte Leary dann auf LSD wobei ihn Al Hubbard und Michael Hollingshead belieferten, die er über den Schriftsteller Aldous Huxley kennen gelernt hatte. Organisiert wurde diese Lieferkette von Learys Freund Dave Solomon.

1963 lief das Patent von Sandoz aus, was die illegale Herstellung erleichterte, da die Ausgangschemikalien, die immer noch legal waren, nun auch von anderen Firmen produziert wurden. Es entstanden LSD-Küchen, in denen begabte Laien und ausgeflippte Chemiker das verbotene Acid herstellten. Der schwierige Herstellungsprozess ergab nur eine geringe Ausbeute von oft verunreinigtem LSD, dessen Wirkung schwer abzuschätzen war. 1965 gelang es Owsley Stanley dann in San Francisco viele der praktischen Probleme zu lösen und große Mengen LSD mit hohem Reinheitsgrad zu produzieren. Seine Trips wurden unter dem Namen White Lightning vermarktet.
Die Deià Connection
Dave Salomon war Journalist, Jazz-Fan und ein früher Bewunderer von Aldous Huxley. Mitte der fünfziger Jahre war er Redakteur beim Männermagazin Esquire. Wie viele andere Intellektuelle probierte er Mescalin, nachdem er Huxleys Essay „Die Pforten der Wahrnehmung“ gelesen hatte. Er kam in Kontakt mit dem Autor auf und versuchte, einen Text von ihm im Magazin unterzubringen, was aber nicht gelang. Die beiden freundeten sich etwas an und kurz darauf nahm er LSD, das er wohl von Huxley bekam, der es in Sandoz-Qualität von „Captain Trips“ bezog.

Huxley war es vermutlich auch, der Dave Solomon mit Tim Leary zusammen brachte, als dieser dabei war, die psychedelische Revolution zu planen. Dave machte begeistert mit. In den nächsten Jahren hielt er eine legale Seite aufrecht, in der er als Redakteur, Lektor und Herausgeber auftrat und die wichtigsten Autoren der psychedelischen Revolution publizierte. Daneben gab es aber auch seine verborgene Seite, wo er für Leary die Beschaffung und den Vertrieb von LSD organisierte.

Ende 1960 nahm er eine Tätigkeit als Chefredakteur des traditionsreichen Jazzmagazins Metronome auf. Er versuchte, das Blatt zu modernisieren und veröffentlichte einen Beitrag von William Burroughs. Ein Jahr später wurde er gefeuert, weil er Fotos einer halbnackten Hure veröffentlicht hatte, was zu vielen Abokündigungen führte.
Von 1962 bis 1965 verlegte Solomon als Lektor für verschiedene Verlage Bücher. Das bekannteste war die Aufsatzsammlung „LSD: The Conscious-Expanding Drug“, die 1964 bei Putnam erschien. Parallel dazu baute er weiter das Distributionsnetz für Leary auf und nahm an dessen Sommercamps in Mexiko teil.

Von 1965 bis zum Sommer 1966 arbeitet Dave Solomon dann als literarischer Editor für das Playboy Magazin. Für das legendäre Playboy-Interview mit Tim Leary („1.000 Orgasmen in einer Nacht“) dürfte er wohl verantwortlich sein.
Mitte 1966 verließ er den Playboy und zog mit seiner Frau und den beiden Töchtern nach Deià. Wenn Tomás Graves sich richtig erinnert, dann war er im Jahr zuvor bereits schon mal im Dorf gewesen, hatte LSD mitgebracht und mit Paul Arnabaldi abgehangen. Ob sich die beiden auf der Insel kennenlernten ist ungewiss. Arnabaldi kam angeblich auch von der Ostküste der USA und es gab das Gerücht, dass er ein Bekannter von Leary aus Millbrook-Zeiten war. Dann könnte Dave diesen geheimnisvollen Abenteurer dort kennen gelernt haben. Sein Name taucht allerdings in keiner Millbrook-Quelle auf. Ein anderes Gerücht besagt, dass Paul in seiner Zeit in den USA die Figur des „Captain Bounty“ in Werbefilmchen für den gleichnamigen Schokoriegel verkörperte. Aber auch dafür gibt es keinen Beleg.
Mit seinem Abgang nach Mallorca scheint Dave ganz auf die illegale Seite übergewechselt zu sein. Zwar gab er weiterhin Bücher heraus, sein Hauptberuf bestand aber nun im Aufbau einer europäischen LSD-Produktion. In Deià lernten Paul und Dave auch Robert Graves kennen, möglicherweise durch eine Empfehlung von Gordon Wasson. Graves waren die beiden allerdings nicht sympathisch, da er das öffentliche Propagieren von bewußtseinserweiternden Drogen kategorisch ablehnte.
Solomons Gastspiel im Dorf dauerte nicht lange. Seine Töchter gingen in Palma zur amerikanischen Schule. Als Dave die beiden zur Geburtstagsparty einer Klassenkameradin brachte, ließ er freundlicherweise auch einige Joints da, was den Spaß zwar beträchtlich vergrößerte, aber dazu führte, dass einer der jungen Gäste seinem Papi davon erzählte. Dummerweise arbeitete Papi bei der Polizei. Dave wurde festgenommen, doch einige Tage später vorläufig wieder frei gelassen. Er verschwand Hals über Kopf von der Insel und tauchte im folgenden Jahr in England wieder auf, wo er für seine Familie in Cambridge ein Haus mietete.
Hier in der alten Universitätsstadt gelang es ihm, mit Richard Kemp einen begabten Chemiker zu finden, der ab 1969 hochwertiges LSD herstellen konnte. Aber Dave war war zu chaotisch und zu streitlustig, um eine große Organisation aufziehen zu können. Er wurde von seinen Tablettenmachern betrogen und von seinen Dealern Anfang der Siebziger ausgebootet.
Paul Arnabaldi aber blieb ein guter und verläßlicher Freund. Mit ihm zusammen besorgte er mehrfach Ergotamintartrat, den wichtigsten Ausgangsstoff für Kemps Produktionslinie. Wahrscheinlich stammte der Stoff von der Firma Chemapol in der damaligen Tschechoslowakei. Bei mindestens einer Gelegenheit erhielt Paul aus einer LSD-Charge, die in in einem anderen Labor im französischen Orléans produziert worden war, 50 Gramm, was immerhin für 250.000 Trips reichen sollte.

1974 kaufte Arnabaldi das Anwesen Plas Llysyn in Wales, wo Richard Kemp ein neues Labor aufbaute. Zwei Jahre später produzierte dieser dort in einem einzigen Lauf 1.800 Gramm LSD. Paul Arnabaldi überwachte zeitweise vor Ort die Herstellung. Danach zerstritten er und Kemp sich und Paul kehrte mit 450 Gramm Acid nach Deià zurück. Diese Menge reichte für über zwei Millionen Trips der Marke Microdot, was zeigt, dass Paul Arnabaldi zu der Zeit ein wirklich großer Dealer war.

1977 war Paul wieder in London, als in der bis dahin größten Polizeioperation die gesamte Microdot Gang hochgenommen wurde. Im Gegensatz zu Solomon, der später zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde, gelang ihm am Tag der Razzien die Flucht nach Deià, wo er aber von den Behörden festgesetzt wurde. Die Engländer verlangten seine Auslieferung, was offiziell abgelehnt wurde, da keine ausreichenden Beweise vorlagen. Inoffiziell bot die Polizei in Palma an, Arnabaldi in ein Flugzeug nach London zu setzen, wenn die britischen Behörden die Kosten für das Ticket übernähmen. Die weigerten sich, Paul wurde freigelassen und floh in die USA. Auch dort das gleiche Spiel: er wurde festgenommen, musste aber aus Mangel an Beweisen erneut auf freien Fuß gesetzt werden. Danach verlor sich seine Spur.
In Deià hielt sich lange das Gerücht, dass er sich in Thailand einer Gesichtsoperation unterzogen hat, unter falschem Namen nach Mallorca zurückkehrte und noch mehrere Jahre lang regelmäßig in den Bars im Dorf gesehen wurde. Die Gesichtsoperation war dieser Legende nach nicht sehr erfolgreich gewesen, er sah immer noch wie er selbst aus. Was dann am Ende aus Paul Arnabaldi wurde, weiß angeblich kein Mensch.
So begann und endete in Deià der größte europäische LSD-Deal, bei dem mehrere hundert Millionen Pfund umgesetzt wurden.
Summer of Love
In den USA hatte Tim Leary mittlerweile dermaßen viel Aufsehen erregt, dass die Politik sich ernsthaft mit dem Treiben zu beschäftigten begann. Diese ganze Unordnung musste schnell ein Ende haben und ab März 1966 wurden Besitz von und Handel mit LSD in immer mehr US-Staaten illegal.
Etwa zur gleichen Zeit begannen die Razzien in Millbrook. Die führten zwar zunächst nicht zum Ende der Party, belästigten und verschreckten aber doch viele Besucher. Billy Hitchcock geriet ins Visier der Steuerbehörden und zog schließlich Anfang 1968 die Reißleine: Millbrook wurde dicht gemacht. Die Utopie von Kastalien, Hermann Hesses spiritueller Gemeinschaft von Künstlern und Intellektuellen aus dem „Glasperlenspiel“, diese Utopie war krachend gescheitert.
Tim Leary war da schon weg. 1967 war er an die Westküste gezogen, wo er in Berkeley ein Haus besaß. Nach den Intellektuellen, den Schönen und den Mächtigen, übernahmen nun junge, langhaarige Hippies die Fackel der inneren Erleuchtung. Bereits im Februar 1967 fand im Golden Gate Park in San Francisco das erste Human Be-In statt, eine Veranstaltung mit Reden und Livemusik, zu der völlig unerwartet 30.000 Besucher erschienen. Auf dem Be-In, das heute als erstes Open-Air Festival betrachtet wird, verkündete Timothy sein neues Programm „Turn on, tune in, drop out“. Nicht mehr nur die Elite sollte angeturnt werden, sondern alle. Die Grateful Dead, Janis Joplin und Quicksilver Messenger Service machten Musik. Obwohl es im Februar stattfand begann mit dem Be-In der Summer of Love, die beste Zeit der Hippies.
Die meisten dieser rebellischen jungen Leute hatten dabei gar keinen Plan, die Gesellschaft zu verändern, sie wollten einfach Spaß haben. Ken Kesey fuhr mit seiner Truppe von Merry Pranksters in einem wild bemalten alten Schulbus mit der Beat-Icone Neil Cassady am Steuer durch die Gegend und bot allen Leuten den kostenlosen Acid Test an.
Scott McKenzie sang „If you’re going to San Francisco…“ und Zehntausende strömten herbei, dröhnten sich zu und stolperten durch die Straßen und Parks im Haight Ashbury. Sie lebten in Kommunen, machten Straßenmusik und zeigten Jongleurkunststücke. Sie bogen Schmuck aus Silberdraht und verkauften Batik-T-Shirts und Marihuana. Der Summer of Love ging nahtlos über in den Endless Summer und LSD wurde zur trendigen Party-Droge.
Wes Brunsons Horrortrip
Niemand weiß genau, warum Wes Brunson 1966 nach Deià kam. Der 33jährige Unternehmer aus Tulsa, Oklahoma, hatte sich nach Europa aufgemacht, um dort die Szene zu diggen. Jedenfalls lernte er im Café Ca n’Pep Mosso den aufstrebenden Rockmusiker Kevin Ayers kennen, der ihm einen Trip schenkte, den Wes gleich einwarf.
Voll auf LSD erhielt Wes den göttliche Auftrag, alle seine irdischen Güter zu verkaufen und mit dem Geld das kommende neue Zeitalter der Erleuchtung zu fördern. Kevin konnte ihn davon überzeugen, dass er dieses Ziel am besten erreichen würde, wenn er eine Rockband finanzierte. Es traf sich gut, dass Daevid Allen, ein Freund von Kevin und ebenfalls Musiker, tags zuvor auf einem Trip die Vision einer neuen Rockband gehabt hatte und das, obwohl er Rockmusik eigentlich nicht ausstehen konnte.
So unwahrscheinlich das auch erscheinen mag, Wes Brunson machte sich tatsächlich schon am nächsten Tag auf den Weg zurück nach Tulsa. Dort besaß seine Famile ein Optikgeschäft mit Namen Hicks Brunson Eyeware, an dem er beteiligt war. Nach einer Ausbildung zum Optiker hatte er zusätzlich ein lukratives Unternehmen aufgebaut, das sich mit der Anpassung von Kontaktlinsen beschäftigte. Außerdem betrieb er in Tulsa die Bar Evil Monkey. Zurück aus Deià verkaufte er seine Betriebe so schnell es ging und tauchte schon im Mai bei seinen neuen Bros im englischen Canterbury auf, die Brieftasche prall gefüllt. Kevin und Daevid warteten schon. Sie mieteten ein Haus, kauften Guitarren, Verstärker, Klamotten, Essen und Wein und gründeten die bekannte Psychedelic-Rock-Band Soft Machine.
Aber ihr Durchbruch zum Ruhm verzögerte sich und das lag ganz besonders an Wes Brunson. Dieser Ami war der totale Chaot und und eine zuverlässige Quelle von ständig neuem Ärger. Schon vor seiner Reise nach Europa war er von seiner Frau geschieden worden, die das Sorgerecht für die beiden Töchter erhielt. Die Mädels, 11 und 12 Jahre alt, nahm Wes mit nach England, vergaß aber leider, dies mit seiner Ex-Frau abzusprechen, die ihn daraufhin wegen Kindesentführung anzeigte. In Canterbury hatten alle eine super Zeit, bis die Polizei auftauchte und Pam und Deby zurück nach Tulsa schickte. Wes warf LSD ein wie Pfefferminzdrops und das Zeug tat ihm überhaupt nicht gut. Er hatte ein Faible für Messer und Schusswaffen und wurde seinen neuen Freunden schnell ziemlich unheimlich. Keiner war deshalb besonders traurig, als er sich im Rausch bei einem Treppensturz so schwer verletzte, dass er zur Behandlung nach Oklahoma zurückkehren musste. Dummerweise ging mit ihm aber auch sein schönes Geld.

Deià ließ Wes Brunson nicht mehr los und er kehrte in den nächsten Jahren immer wieder zurück während sein Geist sich zunehmend verwirrte. Wahrscheinlich war er ein häufiger Gast im Banana Moon Observatory, von wo aus Daevid Allen und Gilli Smyth das Dorf erleuchteten. Er glaubte eine Wiedergeburt von Jesus Christus zu sein. Eines Tages in der Cala forderten ihn ein paar Leute auf, das zu beweisen, indem er über das Wasser lief. Wes bot statt dessen an, unter Wasser zu laufen und watete über die runden Kiesel des Strandes ins Meer, bis er ungefähr beim Felsen La Roqueta verschwand. Alle schauten verwundert, aber Wes tauchte nicht wieder auf – jedenfalls nicht so schnell. Aber schließlich schoss sein Kopf heraus und er spuckte und röchelte, während die Cala sich vor Lachen bog.
Seine Waffenmanie ängstigte viele, zeitweise schleppte er zwei Pistolen mit sich herum, die er nach seinen Töchtern Pam und Deby nannte. Zornig und gewalttätig geisterte er so durch Deià. Mehrmals ließ er Felsbrocken auf Straßen oder Wege stürzen, um Leute zu verletzten. Tomás Graves kann sich an einen solchen Vorfall erinnern und meint, Wes im Jahr 1968 zuletzt gesehen zu haben, als dieser das Dorf zu Fuß Richtung Palma verließ.
Ende der Sechziger war er jedenfalls wieder in Tulsa und heiratete 1970 zum dritten Mal. Nach wie vor zog er sich Acid rein und wurde noch komischer. Für einige Wochen ließ ihn seine Familie deswegen in eine Klappsmühle einweisen.
1972 erlitt er einen Herzinfarkt, ging aber trotzdem kurze Zeit später mit seiner Frau Terry auf ein Rockkonzert, wo er sich die Seele aus dem Leib tanzte. Abgespaced und in ekstatischer Verzückung brach er zusammen und starb.
Die Hippie-Mafia
Tim Leary machte sich im Sommer 1967 auf nach Los Angeles mit dem Plan, Hollywood auf den richtigen Trip zu bringen. Er folgte damit der Einladung einer wilden Truppe, die gerade die staatliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft erlangt hatte. Die Brotherhood of Eternal Love war der neueste Name dieser Gruppe, die sich ein paar Jahre zuvor als Straßengang unter dem Namen Street Sweepers einen üblen Ruf erworben hatten.

Der schlimmste Schäger und Drogendealer der Sweepers war der schmächtige John Griggs gewesen, der sich besonders gerne mit Leuten anlegte, die stärker waren als er. Im Jahr 1966 hatte er mit seiner Gang einen Filmproduzenten überfallen und eine Schachtel mit Trips erbeutet. John Griggs schluckte ein paar von den Löschpapierstückchen und hatte ein starkes religiöses Erlebnis. Danach schwor er der Gewalt ab, las ein Buch von Tim Leary, besuchte Millbrook und schwor, die ganze Welt auf LSD zu bringen. Soweit der Plan. Da es sich bei der Brotherhood, zu der über 700 Personen gehört haben sollen, aber im Kern um eine Vereinigung südkalifornischer Dealer handelte, gewannen die kommerziellen Interessen schon bald die Oberhand über die zweifellos auch vorhandenen transzendentalen Neigungen. Die Brotherhood entwickelte sich bis zu ihrer Zerschlagung Anfang der siebziger Jahre zu einer gut organisierten und erfolgreichen Hippie-Mafia, die mit Haschisch, Marihuana und LSD einen Umsatz von geschätzt 200 Millionen Dollar machte.

Die Brotherhood – und ganz besonders John Griggs – betrachtete Tim Leary als Guru. Im November 1967 richteten sie ihm eine psychedelische Hochzeit aus. Er sollte seiner zukünftigen Frau Rosemary auf einem 2.000 Meter hohen Gipfel im Joshua Tree Nationalpark das Jawort geben. Die Zeremonie war geplant unter der spirituellen Leitung eines apachischen Medizinmannes namens Samu. Eine große Hochzeitsgesellschaft machte sich mitten in der Nacht und völlig zugedröhnt auf den steilen Weg zum Gipfel des Berges. Als sie oben angekommen waren, ging gerade die Sonne auf und alles war perfekt. Nur Samu war dummerweise dermaßen high, dass er die Trauung erst Stunden später vom Rücksitz eines Autos aus durchführen konnte.
1968 kaufte die Brotherhood mit dem Drogengeld ein riesiges Anwesen oberhalb von Palm Springs, das sie Idyllwild nannten. Sie schenkten Tim und Rosemary ein Haus auf dem Gelände und John Griggs sagte, Tim solle in Zukunft in Ruhe schreiben und auf Vortragsreisen gehen, während sich die Brotherhood um die Finanzen kümmern würde.

Aber das wilde Idyll in Idyllwild dauerte nicht lange. In die bunte, fröhliche Stimmung mischten sich nach und nach häßliche Farben. Ein Todesfall machte die Cops im August 1969 auf die Kommune aufmerksam. Einige Tage später starb John Griggs an einer Überdosis Psilocybin. Die Polizei führte eine Razzia durch und sperrte das Anwesen. Das war das Ende der Brotherhood und auch der „Endless Summer“ endete im Sommer 1969 blutig, als Charles Manson und seine „Family“ in Los Angeles acht Menschen umbrachten.
Das Ende eines endlosen Sommers
Tim Leary wurde im Dezember des Jahres festgenommen und im März des Folgejahres zu einem bis zehn Jahren Haft verurteilt. Er brach aus, floh über Afrika und Europa nach Afghanistan, wurde dort von amerikanischen Agenten festgenommen und nach Amerika zurück gebracht, um sein Strafe abzusitzen. Das war erst einmal das Ende seiner psychedelischen Reise.

Fast jeder erlebt auf einem seiner ersten Trips den „Ego Death“, das beängstigende Gefühl, nun sterben zu müssen. Und gerade wenn du denkst, dass nun alles vorbei ist, erfährst du, dass es trotzdem weiter geht. Sehr beeindruckend!
In seiner unendlichen Ungeduld hat Timothy Leary allerdings ausgeblendet, dass auch das beglückende Erlebnis von Einheit und Erleuchtung genau so ein passageres Phänomen ist. Wenn du von deinem Trip wieder runter kommst, bist du kein besserer Maler, kein besserer Musiker, kein besserer Denker, kein besserer Mensch. Aber du bist dir gewiss, dass du es werden kannst.
