Die Künstler von Deià / Maler / Mati Klarwein
Aleph Sanctuary
Bereits 1958 hatte Mati erstmals eine Arbeit mit „Abdul Mati“ signiert. Es war die Zeit nach der Suez-Krise, die weltweit Empörung über Israel ausgelöst hatte und einen neuen Krieg mit Ägypten wahrscheinlich machte. Matis Idee bei der Annahme des zweiten Vornamens Abdul („Diener“) war eine rührende Geste des Friedens: Wenn jeder Jude einen zusätzlichen arabischen und jeder Araber einen zusätzlichen jüdischen Vornnamen annehmen würde, dann würde damit unausweichlich auch das Verständnis füreinander wachsen.

Etwa zur gleichen Zeit formierte sich in den USA die schwarze Bürgerrechtsbewegung, angeführt von Martin Luther King und Malcolm X (Mati gestaltete 1964 das Cover für eine LP mit mit Malcolms Reden). Eine Folge dieser Bewegung war die Hinwendung der schwarzen Bevölkerung zum Islam. Aus politischen, kulturellen und musikalischen Gründen identifizierte sich Mati stark mit dieser Sache und sagte: „Ich bin nur halb deutsch und halb jüdisch mit einer arabischen Seele und einem afrikanischen Herzen“.

Die erste Arbeit, die er mit „Abdul Mati“ signierte war ein Portrait des schwarzen Musikers Yusef Lateef, den er bewunderte. Er benutzte ein Plattencover als Vorlage und schickte Lateef ein Foto seiner Arbeit. Lateef antwortete und zeigte Interesse, das Motiv für ein Cover zu nutzen. Einige Monate später traf Mati ihn deshalb in New York. Doch als Lateef erkannte, dass Mati ein Weißer war, drehte er sich wortlos um und ging.
New York wurde trotzdem zum neuen Sehnsuchtsort des jungen Künstlers. Seine Freundin Kitty Lillaz hatte dort 1961 eine Vernissage-Party für „Flight to Egypt“ ausgerichtet, auf der Mati sein Idol Salvador Dalí und seine zukünftige Frau Sofi Bollack kennen lernte.
Die Dynamik der Stadt, die niemals schläft, elektrisierte ihn. So kurz dieser Besuch auch war, er veränderte sein Leben. Zurück in Deià bezog er sein Haus, nahm zum ersten Mal LSD und malte mit „Annunciation“ sein bekanntestes Werk.

Viele weitere Besuche in New York folgten. Mati baute sich ein neues Prominetzwerk auf, weil er unter den Schönen, Reichen und Schnellen die zahlungskräftigsten Kunden für seine Portraits fand. Fast wie in einem Roman fand er Zugang zu dieser Szene über einen Friseur, Kenneth Battelle, den er 1962 malte und über den er die Kunstsammlerin Bunny Mellon und Jackie Kennedy kennen lernte. Er schuf einige Portraits von John F. auf eigene Initiative und ein offizielles Portrait war wohl im Gespräch. Aber dazu kam es nicht, weil der Präsident am 22. November 1963 ermordet wurde.
Neben diesen Uptown-Kontakten, stürzte sich Mati in das aufregende kulturelle Leben von Downtown-New York. Hippies und Drogen waren angesagt und Rockmusik. Etwa 50 Kilometer nördlich der Stadt bezog Timothy Leary ein riesiges Anwesen in Millbrook, das ihm Billy und Peggy Hitchcock, Nachfahren der Bankiersdynastie Mellon, zur Verfügung gestellt hatten und richtete hier ein Zentrum für Bewußtseinserweiterung durch LSD ein. Hunderte von Intellektuellen, Promis und Künstlern strömten in den nächsten Jahren nach Millbrook. Auch Mati war dabei, freundete sich mit Timothy Leary an und lernte die Fotografin und Autorin Caterine Milinaire kennen. Er datete und malte Top-Models wie Donyale Luna und Kathy Ainsworth.

Obwohl New York zum Mittelpunkt seines Lebens wurde, verbrachte er immer wieder Zeit in Paris und in Deià. So portraitiert er auf Vermittlung von Robert Graves die Enkelin des spanischen Diktators Franco, Carmen de Villaverde, und die Enkel des berühmten mallorquinischen Bankiers Juan March.

In New York traf er sich regelmäßig mit Salvador Dalí und die beiden machten die Bars der Stadt unsicher. Selbstverständlich war er 1964 auf der legendären Party zu Dalís sechzigstem Geburtstag im Luxushotel St. Regis, wo plötzlich eine Meute ausgeflippter Hippies aus Millbrook auftauchte und dem Geburtstagskind einen lebenden grünen Leguan schenkte, den Dalí später in der Nacht in einer Bar als Tip zurückließ.

Seine Ehe mit Sofi Bollack war da schon am Ende, obwohl 1963 die gemeinsame Tochter Éléonore in Paris geboren worden war. Mati hing zwar zeit seines Lebens mit Liebe an allen seinen Kindern, war aber für eine feste Beziehung nicht gemacht. Dafür war er zu sehr der Liebling vieler Frauen und dafür war er wohl auch zu sehr Einzelgänger.
1965 verkaufte er sein Haus über der Cala für nur 6.000 Dollar (was den Baukosten entsprach und beweist, dass Mati kein guter Geschäftsmann war) an seine Freundin Annie Truxell. Von dem Geld finanzierte er eine große Reise, die ihn unter anderem in den Nieger führte, wo er mit Caterine zusammen einen Film drehte.

1967 begann in San Francisco der „Summer of Love“, die Hochzeit der Hippiebewegung. In diesem Jahr zog Mati endgültig nach New York. In seinem Loft an der 17. Straße baute er nach und nach die Installation „Aleph Sanctuary“ auf, einen Meditationsraum mit 68 seiner Bilder. Über Caterine, die für die Zeitschrift Vogue schrieb, bekam er Zugang zur jungen kulturellen Elite New Yorks. Er freundete sich an mit Andy Warhol an.
Andy zog mit seiner Factory Anfang 1968 gleich um die Ecke an den Union Square. Mati und er kannten sich gut und ihre Geschäftsmodelle ähnelten sich. Wie Mati hatte auch Andy eine „cleane“ Uptown-Seite. Während er in Leo Castellis Galerie am Central Park seine Pop Art Bilder ausstellte, war er gleichzeitig Manager der Rockband „The Velvet Underground“ und veranstaltete das psychedelische Multimediaspektakel „Exploding Plastic Enevitable“.
Die Frage liegt nahe, warum Andy kommerziell viel erfolgreicher wurde als Mati. Ein Grund war sicher, dass Andy seine Kunst stärker als Business sah. Mati dagegen war kein besonders guter Geschäftsmann, hatte eine Abneigung gegen Galerien und verkaufte lieber direkt.
Mittlerweile waren Mati und Caterine fest liiert. Sie war es auch, die ihn in Kontakt mit ihrem Verlag Harmony Books brachte, wo er später sein erstes Buch „Milk’n Honey“ herausbrachte. 1968 saß er mit Caterine Milinaire am Tisch bei Dalís bizarrem Sylvesterdinner im St. Regis, bei dem weder der Surrealist noch seine Frau Gala ein einziges Wort sprachen.
Ende der sechziger Jahre hatte sich die Rockmusik als Musik einer ganzen Generation endgültig durchgesetzt. Sie veränderte nicht nur das Lebensgefühl von Millionen von jungen Leuten, sondern entwickelte sich auch zu einem großen Business. Mati, der den Rhythmus liebte, fühlte sich von dieser Musik und den Musikern angezogen. Über eine Freundin lernte er Jimi Hendrix und Miles Davis kennen.

1970 wurde ein Schicksalsjahr in Matis Leben. Im Jahr zuvor hatte Carlos Santana ein paar Stunden im Aleph Sanctuary verbracht. Danach wollte er auf dem Cover seiner neuen LP unbedingt die „Annunciation“ sehen. Als „Abraxas“ 1970 erschien, explodierten die Verkäufe und katapultierten das Album aus dem Stand zu einem der größten internationalen Erfolge. Das Cover machte Mati von heute auf morgen zum „berühmtesten unbekannten Künstler der Welt“.

1970 starb sein Vater in Jerusalem.
1970 wanderte sein Freund Timothy Leary, zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt, in den Knast.
1970 malte er ein Portrait von Jimi Hendrix, das auf dem Cover der nächsten LP erscheinen sollte. Aber dazu kam es nicht mehr, weil der Musiker Ende des Jahres in London starb.

Nach „Abraxas“ erhielt er viele Anfragen für die Gestaltung weiterer Cover. Sein Stil war gefragt und das ermutigte Mati, sich künstlerisch weiter zu entwickeln. Er fühlte sich wohl in der Bohéme von Greenwich Village und East Village, zog aber trotzdem mit Caterine in ein Appartment in der Nähe des Central Park, dorthin, wo seine reichen Kunden wohnten. 1971 wurde seine Tochter Sérafine geboren.

Mati war auf dem Höhepunkt seines Erfolges, aber es zeichneten sich Probleme ab. Der „Endless Summer“, die wilde Zeit der Hippies, ging seinem Ende entgegen.
Tim Leary im Gefängnis, das schien ein Menetekel zu sein. LSD war seit 1968 bundesweit verboten und die Polizei verfolgte Drogenbesitz nun sehr energisch. Die Berichterstattung in wichtigen Medien wie „Life“ kippte, niemand schrieb mehr von Bewusstseinserweiterung und Frieden. Drogengeschichten von Mord, Selbstmord und Klappsmühle beherrschten nun die Titelseiten. Die Schickeria wandte sich von diesem riskanten Lifestyle ab. In dieser Zeit begannen Matis Uptown-Kontakte schwieriger zu werden. Zwar malte er auch in den folgenden Jahren immer wieder Portraits von reichen Bewunderern, aber es wurden weniger und von den ganz großen Society-Stars kamen keine Aufträge mehr.
Auch der Surrealismus war aus der Mode gekommen. Dalí war alt geworden und seit Ende der sechziger Jahre rissen sich die Trendsetter um eine neue Kunstrichtung namens Pop Art.

Andy Warhol begann ab 1972 mit einer regelrechten Massenproduktion von Prominentenportraits im Pop Art Stil. Seine Technik bestand darin, ein geeignetes Foto auszuwählen, zu verhärten und dann als farbigen Siebdruck zu realisieren. So ein Portrait war in einem Bruchteil der Zeit fertig gestellt, die Mati für ein Werk benötigte. Während Mati in der Regel nicht mehr als sechs Portaits pro Jahr schaffte, konnte Andy in dieser Zeit fast beliebig viele Promis glücklich machen. Dadurch vergrößerte er sein Netzwerk schneller und hatte höhere Einnahmen.

Ende der siebziger Jahre, als auch die Aufträge aus der Musikindustrie zurück gingen, versuchte Mati seinen Stil zu verändern und gleichzeitig schneller zu werden. Das Portrait von Claudia da Cunha von 1980 zeigt diesen Versuch. Aber das überzeugte nicht so recht – Mati war nur Mati, wenn er sich treu blieb.

Die Beziehung mit Caterine ging Mitte der siebziger Jahre auseinander und Mati kam nun wieder häufiger nach Deià. Ende der siebziger Jahre hatte er eine Beziehung mit Oona Lind, der Tochter seines alten Freundes, des Schriftstellers Jakov Lind. In diesen Jahren intensivierte er viele alte Kontakte neu: zu Yannick Vu und Ben Jakober, oder zu dem französischen Schriftsteller Serge Bramly, der mittlerweile mit der Fotografin Bettina Rheims verheiratet war. Als er das Haus Sa Casanova zwischen Deià und Soller mietete war das ein Zeichen, dass seine New Yorker Zeit dem Ende zu ging.
Son Rullan
1983 kam die Musik-CD auf den Markt. Noch im gleichen Jahr überholten die Verkäufe die der Vinyl-Platten. Nach und nach versiegte nun Matis Einkommensquelle aus der Covergestaltung, denn für das viel kleinere CD-Format eigneten sich seine detaillierten Darstellungen nicht so gut.

In Deià war er nun wieder eine feste Größe, immer freundlich und gut gelaunt, für jeden ansprechbar. Er lernte die junge Malerin Laure Frapier kennen und heiratete sie. Das Paar lebte zunächst in Sa Casanova und bekam zwei Söhne, Balthasar, 1985, und Salvador, 1988.

Es hatte sich gar nicht so viel verändert, Mati arbeitete diszipliniert und fleißig und kam mit der festen Beziehung auf die Dauer nicht zurecht. Er zog nach Son Rullan, eine alte Klosteranlage zwischen Deià und Valldemossa. Dort mietete er ein kleines Haus von seinen Freunden Fred und Annie Grunfeld.
Er war älter geworden und sah manchmal müde aus. Irgendwann in den neunziger Jahren wurde Krebs bei ihm diagnostiziert. Eine Chemo brach er ab und beschloss, sich auf seine alten Tage nicht mehr zu ändern: Er würde auch in dieser Krise das Leben so nehmen, wie immer: Geist über Materie. Danach ging es ihm wieder besser.
1990 brachte ein letztes Wiedersehen mit seinem Freund Tim Leary, den er auf dem ArtFutur Kongress in Barcelona traf.

Mati blieb sich treu bis ans Ende seines Lebens, auch künstlerisch. Er entwickelte sich jeden Tag weiter, weil seine Neugierig und seine Begeisterung ihn antrieben.
Geprägt aber hatten ihn die sechziger Jahre. Er hatte die Welt erfahren als ein großes, verbundenes Ganzes, zusammen gehalten von einer magischen Energie, die alles durchströmt und ordnet.
Genau so hatte er die Welt gesehen und so hatte er sie gemalt.
Vorheriger Teil: Die frühen Jahre – Hamburg, Jerusalem, Paris, Deià
Fortsetzung: Psychedelische Kunst und psychedelische Drogen.
Mit freundlicher Unterstützung von Familie Klarwein, www.matiklarweinart.com