Die Künstler von Deià / Maler / Mati Klarwein
Mati Klarweins Status als Künstler ist umstritten. Ist das überhaupt Kunst? Oder Illustration? Gehört sein Werk ins Museum oder in den Poster-Shop?
Besonders berühmt wurde er mit seinen LP-Cover-Gestaltungen. Also Illustrator? Aber bei einem Gesamtwerk von etwa 600 Bildern, gibt es nur ungefähr 40 Covers. Eine direkte Auftragsgestaltung, so wie sie für einen Illustrator üblich ist, lässt sich nur in wenigen Fällen dokumentieren. Seine berühmteste Covergestaltung, „Abraxas“ für Carlos Santana, ist keine beauftragte Illustration. Santana übernahm das Motiv von „Annunciation“, einem Werk, das Mati bereits zehn Jahre zuvor geschaffen hatte.
Umstritten zu sein hätte Mati vermutlich gefallen, denn er mochte keine Kategorien: „Jeder kann seine eigenen Botschaften in meine Bilder interpretieren. Das ist ihre Botschaft“.

Mit etwa 140 Werken haben Portraits einen wesentlichen Anteil an seinem Gesamtwerk. Mit Auftragsportraits verdiente Mati überwiegend seinen Lebensunterhalt. War er ein kommerzieller Portraitmaler? Wohl kaum, denn viele Künstler haben so gearbeitet. Matis Zeitgenosse und Freund Andy Warhol hat ebenfalls eine große Zahl von Auftragsportraits und Werbeillustrationen geschaffen.
Mati Klarweins Kunst kann am besten vor dem Hintergrund der Zeit verstanden werden, in der sie geschaffen wurde.
Seine Kunst ist gebunden an eine kulturelle Bewegung, einen Aufbruch, der vielleicht mit dem Bauhaus oder mit Dada vergleichbar ist. Ohne den Hintergrund dieser Bewegung – der psychedelischen Bewegung – bliebe seine Kunst unverständlich, genauso wie umgekehrt dieser Bewegung ohne seinen Beitrag etwas Typisches fehlen würden. Denn er hat einige ihrer Ikonen geschaffen.
In dieser Abgrenzung und mit aller gebotenen Vorsicht ist es möglich, Matis Kunst als Psychedelische Kunst zu beschreiben, obwohl er selbst den Begriff vehement abgelehnt hat.
Psychedelische Kunst
Der Begriff „psychedelisch“ geht zurück auf eine Korrespondenz, die der Schriftsteller Aldous Huxley 1957 mit dem Psychiater Humphrey Osmond führte.
Osmond, ein Pionier in der Erforschung psychoaktiver Substanzen, hatte als Gattungsbegriff für bewusstseinserweiternde Drogen zunächst psychotomimetic vorgeschlagen (etwa „in einem Zustand sein, der einer Psychose ähnelt“).
Huxley schickte ihm daraufhin den Reim: “To make this trivial world sublime, take half a gram of phanerothyme“ („phaneros“ bedeutet „sich offenbarend“ und „Thymos“ bedeutet „Geist“), worauf Osmond antwortete: “To fall in Hell or soar angelic, you’ll need a pinch of psychedelic“.

Der Begriff „psychedelisch“ (zusammengesetzt aus „Psyche“ – „Bewußtsein“ und „delos“ – „offenbarend“) wurde ab den sechziger Jahren bezeichnend für eine kulturelle Bewegung, die die Werte, den politischen Diskurs und die Ästhetik der westlichen Gesellschaften nachhaltig verändert hat.
Psychedelische Kunst kann als Kunst verstanden werden, mit der psychedelische Erfahrungen ausgedrückt werden sollen.
Das Wesen psychedelischer Erfahrung
Aber was genau ist eine „psychedelische Erfahrung“ überhaupt? Ist es das, was gerne mit „Sex and Drugs and Rock’n Roll“ umschrieben wird, eine wildere Art zu leben, für die sich heute noch Eltern vor ihren Kindern schämen?

Wie jede Bewegung kann auch die psychedelische beschrieben werden als die gemeinsame Haltung, die eine Gruppe von Menschen der Welt und der Gesellschaft gegenüber einnahm. Natürlich hatte jeder, der sich ihr zugehörig fühlte, letztlich eine eigene Haltung und der Konsens über Werte und Ziele war von daher immer fragil. Aber es gab doch passagere Gemeinsamkeiten, die die Selbstzuscheibung ermöglichten. Zum psychedelischen Lifestyle der sechziger und siebziger Jahre gehörten ganz sicher der Gebrauch psychedelischer Drogen und die sexuelle Befreiung. Aber die psychedelische Bewegung kann weder auf ihren Lifestyle noch auf ihre Drogen reduziert werden. Drogenerfahrungen stellen bei weitem nicht ihre wichtigste Leistung dar.
Psychedelische Kunst kann als besonderer Blick auf die Welt verstanden werden. Ein Blick, der die Welt weder vollständig noch endgültig zeigt.
Ihr Blick ähnelt vielmehr der Perspektive, die ein auf Wellen schaukelnder Beobachter hat. Dabei ist unwichtig, dass es nun gerade ein Schaukeln ist, es könnte auch ein Schwanken, Tanzen, Vibrieren, Oszillieren, Pulsieren sein. Die Künstler waren sich jedenfalls ihres unsteten eigenen Blickwinkels bewusst und konnten zeigen, dass der Blick auf Sichtbares überhaupt nur möglich ist, solange es Nichtsichtbares gibt. Das Nichtsichtbare wurde, viel radikaler als etwa im Kubismus und im Surrealismus, von der Psychedelischen Kunst mit in in den Blick genommen.

Wenn ein Maler ein Bild malt, reduziert er viele Dimensionen auf zwei. Er entfaltet Vorderseiten, während er Rückseiten einfaltet. Erst diese Faltung macht das Bild möglich.
Der Maler könnte auch jede beliebige andere Perspektive wählen, aber eine muss er wählen. In jeder Wahl entscheidet er über die Beziehungen des Sichtbaren zum Nichtsichtbaren. Der Psychedelischen Kunst gelingt es zu zeigen, warum diese Beziehung notwendig besteht. In ihrem Bezug auf das Verborgene ist sie „holistisch“. Sie nimmt nicht Anderes wahr, sie nimmt anders wahr. Ihre Methode ist das Schaukeln, wobei unklar bleibt, ob der Blick, die Welt oder beides schaukelt.
Nicht das Geringste kann im psychedelischen Blick künstlerisch, wissenschaftlich oder sonstwie fixiert werden. Nichts kann isoliert und vollständig erfasst werden. Randverzerrungen sind diesem Blick immanent. Überbestimmtheit verweist auf ein magisches Mehr, das neben, hinter und zwischen dem Dargestellten, Gesagten, Untersuchten, Bewiesenen liegt. Ein magisches Mehr, das Erfahrung in Bewegung hält und offen für anderes und weiteres Sagen, Untersuchen, Beweisen, für andere Ausdrucksformen unseres Menschseins.
Im Schaukeln entfalten sich in jedem Moment neue Perspektiven, in jedem Moment falten sich andere ein. Fernes wird nah, Großes klein, Männliches weiblich. Dinge zerdehnen und verrutschen. Dieser unaufhörliche Wechsel der Perspektiven deckt transversale Ordnungsbeziehungen auf zwischen den Faltungen – Symmetrien und Muster. Legt den Rythmus der Wellen des Lichts frei in ihren Quellen, Reflexionsflächen und Farben. Schafft Interferenzen.
Es ist dieses Schaukeln im Mannigfaltigen, das Psychedelische Kunst formuliert. Darin unterscheidet sie sich von anderen Kunstrichtungen und darin liegt ihre Bedeutung.
Psychedelische Erfahrung und Psychedelische Kunst
Nach allgemeiner Auffassung sind Erfahrungen unter dem Einfluss psychedelischer Drogen, vor allem LSD, psychedelische Erfahrungen. Aber ist umgekehrt jede psychedelische Erfahrung auch eine Drogenerfahrung? Wenn das so wäre, dann könnte die Definition so gefasst werden, dass psychedelische Kunst von Künstlern geschaffen wird, deren Werk signifikant von eigenen Drogenerfahrungen beeinflusst ist und die diesen Einfluss bewusst zum Ausdruck bringen.
Psychedelische Kunst wäre dann ohne die Einnahme psychedelischer Drogen nicht vorstellbar.
Aber wäre diese Definition pragmatisch?

Ein Künstler könnte seine Drogenerfahrung verschweigen. In dem Fall bliebe nur eine Zuordnung über Stilmerkmale. Wo die fehlten, könnte dessen Werk kaum zur psychedelischen Kunst gerechnet werden, trotz Dogenerfahrung.

Umgekehrt wäre denkbar, dass ein Künstler ohne persönliche Drogenerfahrung Stilmerkmale psychedelischer Kunst verwendet. In diesem Fall würde man sein Werk vermutlich der psychedelischen Kunst zuordnen müssen. So fehlen bei der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama möglicherweise persönliche Drogenerfahrungen. Sie leidet aber aufgrund einer psychischen Erkrankung an Wahrnehmungsstörungen, die offenbar psychedelischen Erfahrungen entsprechen.
Schon aus diesen praktischen Gründen sollte sich die Zuweisung des Begriffs „Psychedelische Kunst“ nicht auf die Drogenerfahrung des Künstlers stützen, sondern ausschließlich die Stilmerkmale seiner Werke.
Gegenstand Psychedelischer Kunst
Der Gegenstand der Psychedelischen Kunst ist der Ausdruck von psychedelischer Erfahrung. Solche Erfahrungen können durch die Einnahme von LSD oder anderen Substanzen ausgelöst werden, die Wahrnehmung und Bewußtsein verändern. LSD führt dabei nicht zu einem traumartigen oder betäubten Geisteszustand, sondern verschärft die Wahrnehmung und bringt die holistische Erkenntnis ins Bewußtsein. Unter LSD nehmen wir zwar die gewohnten Objekte und Tatsachen wahr, aber es ist die Erfahrung einer Wirklichkeit, die sich grundsätzlich von der auf Begriffe gebrachten – und damit fragmentierten – Wirklichkeit unterscheidet, die uns im „normalen“ Zustand begegnet.
Gegenstand der Psychedelischen Kunst ist immer in erster Linie diese veränderte Form von Wahrnehmung – die nicht so sehr die Wahrnehmung einer anderen Wirklichkeit ist sondern eher eine andere Wahrnehmung von Wirklichkeit.
Von daher kann auch ihre Viefältigkeit kaum überraschen. Psychedelische Kunst umfasst alle Ausdrucksformen der Kunst ab der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, bleibt dabei aber stets orientiert am holistischen Programm.
Positionen Psychedelischer Kunst
Die folgende Auswahl künstlerischer Positionen ist weder vollständig noch abschließend. Sie soll auch keineswegs suggerieren, dass die genannten Künstler ausschließlich oder in jeder Schaffensperiode Psychedelische Kunst geschaffen hätten. Das ist insbesondere bei Andy Warhol – aber auch bei anderen – nicht der Fall. Als relevant betrachtet werden hier zudem lediglich Arbeiten der Jahre von 1960 bis etwa 1975.
Die Gliederung orientiert sich an der von Stiles und Selz für zeitgenössische Kunst vorgeschlagenen Aufteilung (Kristine Stiles, Peter Selz, Theories and Documents of Contemporary Art, Oakland: University of California Press, 2012).
Gestural Abstraction

Allen Atwell (*1930 ca.). Über diesen Künstler ist wenig bekannt. Er scheint in einem relativ kurzen Zeitraum etwa Mitte der sechziger Jahre aktiv gewesen zu sein. Belegt ist seine Anwesenheit in Millbrook, wo er verschiedene Bilder malte, und seine Freundschaft mit Timothy Leary.

Henri Michaux (1899 – 1984) ist kein Vorläufer sondern Teil der Psychedelischen Kunst, obwohl sich seine Schaffensperiode in den siebziger Jahren bereits ihrem Ende entgegen neigte. Er war Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre einer der ersten, die aus künstlerischen Gründen Meskalin einnahmen und ihre psychedelischen Erfahrungen offen legten.
Geometrical Abstraction

Isaac Abrams (*1930 ca.) begann nach seiner ersten LSD-Erfahrung mit der Malerei. Seine Motive sind vermutlich die am besten bekannten der Psychedelischen Kunst. Offensichtlich werden sie als besonders typisch angesehen. Der Autodidakt ist seinem Stil über viele Jahrzehnte treu geblieben.

Yayoi Kusama (*1929) ist eine Künstlerin mit einer besonderen Geschichte. Von Ihren Eltern im faschistischen Japan äußerst streng erzogen entwickelte sie eine psychische Störung, die mit massiven Halluzinationen einher ging. Sie erlebte eine Welt, die sich in farbige Punkte aufzulösen schien. Gegen die Bedrohung ihrer persönlichen Vernichtung arbeitete sie schon früh künstlerisch an. Gegen den Willen ihrer Eltern studierte sie Kunst. Als sie nach Amerika wollte, weil ihre Arbeit in Japan keinerlei Erfolgt hatte, gaben ihr die Eltern das nötige Geld unter der Bedingung, dass sie niemals zurückkehren würde. Yayoi lebt seit 1977 freiwillig in einer Nervenheilanstalt und ist eine der bedeutendsten Künstlerinnen der Gegenwart.

Lucas Samaras (*1936) ist ein amerikanischer Künstler griechischer Abstammung. Er war einer der ersten, die eine Polaroid-Kamera für Selbstportraits einsetzten. Die Fotos wurden dann malerisch verfremdet und vermitteln Wirklichkeit als eine Art von flüssigem Zustand.
Figuration

Chuck Close (*1940) ist ein hyperrealistischer Maler. Im Gegensatz zu vielen anderen Hyperrealisten, deren Ziel die „genaue“ Nachahmung der Welt ist, verändert Chuck Close diese Wirklichkeit auf sublime Weise und zeigt, dass wir uns unserer Wahrnehmung nicht sicher sein können.

Mati Klarwein (1932 – 2002) malte eine Welt, die durchdrungen war von symbolischer Bedeutung. Die Landschaft war für ihn ein zentrales Thema, wobei er den Menschen nicht als deren Teil sah, sondern umgekehrt die Landschaft als Teil des Menschen.

Material Culture and Everyday Life
Andy Warhol (1928 – 1987) war einer der wichtigsten Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts. Neben seiner „cleanen“ Identität als bedeutender Vertreter der Pop-Art, dessen Werke in den Galerien von Upper Manhattan ausgestellt wurden, hatte er auch eine „wilde“ Seite, die er in den Szenevierteln von Lower Manhattan auslebte, wo sich auch seine berühmte Factory befand. Er war Manager der psychedelischen Rockband The Velvet Underground, betrieb den Dom Club, in dem schon Mitte der sechziger Jahre Lightshows und Filme die Musik ergänzten und veranstaltete die Performance „The Exploding Plastic Enevitable“.

Wes Wilson (*1937) gestaltete eine Vielzahl von Veranstaltungsplakaten und erfand einen psychedelischen Schriftschnitt. Seine Poster prägten das visuelle Erscheinungsbild der Bewegung.
Art and Technology

USCO (Gerd Stern * 1928). Diese Gruppe entwickelte Lightshows und andere multimediale Kunst. Der Einsatz von Licht für künstlerische Zwecke war eine originäre Entwicklung der Psychedelischen Kunst. USCO schuf auch Gedichte und andere Texte und revolutionierte deren Publikation.


Jud Yalkut (1938 – 2013) setzte erstmals Video für künstlerische Zwecke ein. Ende der sechziger Jahre arbeitete er dabei eng mit Nam Jun Paik zusammen.
Installations, Environments, and Sites

Process

Lynda Benglis (*1941) beschäftigte sich in den sechziger Jahren mit Schüttungen. Dafür verwendete sie Materialien, die sie im Baugeschäft ihres Vaters kennen gelernt hatte. Trotz der sexuellen Befreiung, die ein Ziel der psychedelischen Bewegung war, hatten es Künsterinnen in der Zeit schwer, sich durchzusetzen. Kunst war nach wie vor männlich und die Rolle der Frau wurde eher als die einer Muse gesehen. Gegen diese Diskriminierung wehrte sich Benglis 1974 mit ihrer berühmten Anzeige in der Novemberausgabe der Zeitschrift Artforum, die sie nackt mit Dildo zeigte.
Performance Art


Jean-Jaques Lebel (*1936) ist ein französischer Künstler, Autor und Kunsttheoretiker. Er veranstaltete 1962 das erste Happening „Pour conjurer l’esprit de catastrophe“, wobei er sich auf dadaistische Vorläufer berief. 1967 inszenierte er in Gassin an der Cote d’Azur „Le Désir attrapé par la queue“ nach einem Text von Pablo Picasso. Im Rahmen dieses Happenings spielte die erste psychedelische Rockband The Soft Machine.

Language and Concepts


Die Reichweite des Begriffs der Psychedelischen Kunst
Immer wieder ist versucht worden, den Begriff der Psychedelischen Kunst in einer Weise expansiv zu verwenden, dass auch Künstler anderer Zeiten und Stile, wie etwa Hieronymus Bosch, daunter subsumiert werden konnten.

Da der Begriff „psychedelisch“ aber erst Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts geprägt wurde und die wichtigste psychedelische Substanz, LSD, erst seit den fünfziger Jahren zugänglich war, scheint es verwirrend oder sogar irreführend, Werke der Kunst als „psychedelisch“ auszuzeichnen, die vor 1950 entstanden sind. Solche Werke oder Künstler können bestenfalls als Vorläufer eine Rolle spielen.

Die eigentliche Blütezeit der Psychedelischen Kunst dürfte zwischen der Veröffentlichung von Aldous Huxleys „The Doors of Perception“ 1958 und dem Ende des „Endless Summer“ im Jahr 1970 mit dem Tod von Janis Joplin und Jimi Hendrix liegen. Dieser Eingrenzung folgend können Künstler, deren Schaffensperiode nach 1970 begann, kaum zur Psychedelischen Kunst im engeren Sinne gerechnet werden.
Vorheriger Teil: Die wilden New Yorker Jahre und die Rückkehr nach Deià
Fortsetzung: Die wichtigsten Stilmerkmale der Kunst Mati Klarweins
Mit freundlicher Unterstützung von Familie Klarwein, www.matiklarweinart.com