Die Künstler von Deià / Maler / Mati Klarwein
Die Stilmerkmale der psychedelischen Malerei repräsentieren verschiedene Formen der psychedelischen Wahrnehmung. Dabei geht es, wie bereits gesagt, weniger darum, dass andere Dinge wahrgenommen werden als vielmehr darum, dass die Dinge anders wahrgenommen werden.
Kennzeichnend für die psychedelische Erfahrung ist ein „Mehr“, das über die „normale“ Wahrnehmung hinausgeht. Aber existiert dieses „Mehr“, oder handelt es sich lediglich um Halluzinationen?
Interessant ist in dem Zusammenhang, dass psychedelische Stilmerkmale sich überhaupt entwickeln konnten. Denn das spricht wohl für ähnliche Erfahrungen. Wenn ein Mensch im Terrazzoboden Muster erkennt, die niemand sonst wahrnimmt, dann handelt es sich vielleicht um eine Halluzination. Doch wenn mehrere Menschen diese Muster wahrnehmen, dann kann die Frage, ob es sie gibt, nicht so leicht beantwortet werden.
Künstlerische Subjektivität ist in jedem Fall die Grundlage der psychedelischen Stilmerkmale. Doch das ist nichts Ungewöhnliches. Denn jede Kunst ist subjektiv, weil sie ihre Objekte so zeigt, wie der Künstler sie sieht und nicht so, wie sie sind.
Im Vergleich mit Malern anderer Stilrichtungen zeigt sich auch, dass viele Merkmale stil-übergreifend verwendet werden. Gerade im Vergleich mit Ähnlichem wird die Einzigartigkeit der psychedelischen Position besonders deutlich.
Der Blick des Malers ist subjektiv. Aber er ist auch überindividuell – der Blick der Maler des jeweiligen Stils. Die psychedelischen Stilmerkmale sind so verstanden das gemeinsame Ergebnis eines psychedelischen Diskurses.
Äußere Stilmerkmale
Muster und Symmetrien
Zu den Besonderheiten der psychedelischen Erfahrung gehört die Wahrnehmung von Symmetrien und Mustern, wo im Normalzustand keine wahrgenommen werden.
Muster, wie zum Beispiel ein Schachbrettmuster, kannst du als regelmäßige Anordnungen von Flächen oder Linien verstehen.
Die Voraussetzung für die Existenz eines Musters ist, dass die Regel angegeben werden kann, nach der es gebildet ist.
Medizinische Untersuchungen zur Wirkung von LSD haben sich in den sechziger Jahren mit diesem Thema befasst. Die Ergebnisse scheinen darauf hinzudeuten, dass die wahrgenommenen Muster existieren, das heißt, dass die Mustererkennung unter LSD verbessert ist.
Offensichtlich beindrucken diese Wahrnehmungen Künstler ganz besonders, denn Muster bilden ein wichtiges Stilelement Psychedelischer Kunst.

Mati Klarwein hat dieses Stilmerkmal in seinen Bildern immer wieder eingesetzt in der Darstellung von von Felsen und Wasser. Sein „geordneter“ Realismus ähnelt gewissen Darstellungen van Goghs, der zwar keine psychedelischen Bilder malte, aber wohl eine übersteigerte visuelle Sensibilität besaß.
Geschärfter Blick
Die psychedelische Erfahrung steigert die Konzentration des Blicks auf Details, die im Normalzustand für uninteressant gehalten und nur flüchtig angesehen werden. Das Bewusstsein lenkt normalerweise unseren Blick vorrangig auf die relevanten Teile dessen, was wir wahrnehmen, ganz besonders auf Dinge die sich bewegen. Die Falten einer Hose gelten dem Bewusstsein als irrelevant. Niemand würde eine Stunde lang ein paar Falten auf seiner Hose ansehen. Den psychedelischen Blick konzentriert das Bewusstsein aber häufig genau auf solche Dinge, die dann in der Betrachtung immer schärfer und wie vergrößert wirken. Die Falten bekommen einen hyperrealistischen Charakter.







Hyperrealismus bezeichnet in der Kunst einen Malstil, bei dem der Maler eine fotografierte Vorlage sehr stark vergrößert. Dabei tritt schnell das Problem auf, dass das Foto weniger Bildinformation enthält, als erforderlich wäre, um das Gemälde zu einer perfekten Vergrößerung machen zu können. Der Hyperrealist muss dann Information ergänzen, die die Vorlage nicht enthält. Bei jeder Art von Hinzufügung handelt es sich um eine künstlerische Entscheidung.
Psychedelische Malerei, die mit den Mitteln des „Geschärften Blicks“ bzw. der Überdeutlichkeit arbeitet, unterscheidet sich vom Hyperrealismus in dem, was sie hinzufügt. Das sind nämlich wiederum psychedelische Stilmittel wie Muster oder räumliche Verzerrungen.
Als Besonderheit des „geschärften Blicks“ tritt ein Mikroskopismus („Das Große im Kleinen“) auf, bei dem Gegenstände, die in normaler Wahrnehmung klein und einförmig sind (wie etwa ein Reiskorn), stark vergrößert werden und in dieser Vergrößerung eine Fülle von Formen offenbaren.
Day-Glo
Mit dem Namen „Day-Glo“ wurden ursprünglich Leuchtfarben bezeichnet, also Farben, die phosphoreszierende Substanzen enthielten und im Dunklen leuchteten. Tatsächlich haben Künstler für psychedelische Werke auch solche Leuchtfarben eingesetzt.

Darüber hinaus bezeichnet Day-Glo aber auch eine Palette üblicher Malfarben, die sich dadurch auszeichnet, dass sie kräftige oder „leuchtende“ Farbtöne bevorzugt. Die psychedelische Erfahrung besteht aus einer veränderten Wahrnehmung von Licht. Während in der normalen Wahrnehmung dem Licht eher der Charakter eines „ruhigen Seins“ zukommt, nimmt der psychedelische Blick seinen Wellencharakter wahr. Licht pulsiert, flirrt, die Farben glühen und leuchten. Dieser Wellencharakter provoziert auch synästhetische Effekte, bei denen zum Beispiel Töne und Farben in einer engen Beziehung gekoppelt zu sein scheinen.
Relativität der Proportionen
Ohne groß darüber nachzudenken stellen wir uns die Welt irgendwie als einen rechtwinkligen Raum vor. In diesem Raum regeln die Gesetze der Perspektive die Form der Dinge: Der Horizont etwa ist eine waagerechte Linie, Bahnschienen sind zwei aufeinander zulaufende Geraden, die sich im Horizont schneiden.


Dürer konstruiert hier eine unnatürlich starke Verkürzung, die nicht der zu seiner Zeit bereits entdeckten Zentralperspektive entspricht. Das erkennst du besonders gut am Tisch und an der Deckenlampe, die irgendwie schief zu hängen scheint, obwohl sie korrekt konstruiert ist. Im Bereich des vorderen Fensters hat Dürer die Konstruktion angeglichen, weil sonst die unnatürliche Wirkung noch stärker ausgefallen wäre. Anders als bei Mati Klarwein, der solche Verzerrungen bewusst einsetzte, sind sie bei Dürer ein Zeichen der Unsicherheit über die richtige Konstruktionsmethode.
Im Normalzustand ist uns nicht bewusst, dass unsere Augäpfel kleine Kugeln sind, die die Linien, die wir wahrnehmen, verzerren, besonders an den Rändern unseres Sehfeldes. Unser Bewusstsein ist so gut darin, diese Verzerrungen auszugleichen, dass die meisten Menschen vermutlich bestreiten würden, dass es sie überhaupt gibt. Tatsächlich können wir uns aber leicht davon überzeugen, dass wir gar keine geraden Linien sehen können, indem wir durch ein Weitwinkelobjektiv schauen, das noch stärker gekrümmt ist als unser Auge.

Die psychedelische Erfahrung lenkt die Aufmerksamkeit nun gerade auf die Verzerrungen und holt sie ins Bewusstsein. Von daher verwundert es nicht, dass Krümmungen und verzerrte Perspektiven auch als Stilmittel in der Psychedelischen Kunst Verwendung finden.
Qualitative Inversion
Nimm’ ann, du gehst an einem Fluss spazieren und siehst in der Ferne eine Person auf dich zukommen. Obwohl du das nicht bewusst machst, geht eines deiner ersten Urteile immer darauf, ob da ein Mann oder eine Frau auf dich zukommt. Du kannst dich irren und mehrfach dein Urteil wechseln, während die Person sich langsam nähert. Natürlich wechselt diese Person dann nicht ihr Geschlecht, sondern die Unsicherheit entsteht, weil jeder Mensch männliche, weibliche und geschlechtlich unspezifische Merkmale in sich vereinigt.
Die beschriebenen Urteile werden qualitative Urteile genannt und betreffen auch Fragen wie, ob etwas hart oder weich, fest oder flüssig, groß oder klein, nah oder fern ist.

Im Normalzustand gleicht das Bewusstsein diese plötzlichen Formwechsel aus, was dazu führt, dass sie kaum wahrgenommen werden. Zum Beispiel beginnen die Merkmale des Geschlechts, für das sich der Beobachter entschieden hat, die Wahrnehmung schleichend zu dominieren, sie fallen mehr auf, während die Merkmale des anderen Geschlechts verdrängt werden.

Einzelne Kunststile können selten eindeutig aufgrund exklusiver Stilmerkmale unterschieden werden. Surrealismus, Fantasy und sogar Pop Art haben mit der Psychedelischen Kunst zahlreiche Mittel gemeinsam, die bei ihnen aber gegenüber anderen eher zurücktreten.
Die psychedelische Erfahrung lenkt die Aufmerksamkeit aber eben genau auf diesen Formwechsel. Das erweiterte Bewusstsein erfasst, dass das Geschlecht hin und her zu wechseln scheint, und erkennt das menschliche Wesen, das sich nähert, als weder eindeutig männlich noch eindeutig weiblich. In diesem psychedelischen Bewusstsein verdrängen die Merkmale des einen Geschlechts nie die des anderen. Deshalb kann es auch noch zu Formwechseln kommen, wenn die Qualität eigentlich längst feststeht. Es ist in gewisser Weise wie bei einem Kippbild.

Solche Wechsel tauchen als qualitative Inversion häufig in Werken der Psychedelischen Kunst auf und bilden eines ihrer prominenten Stilmerkmale.
Cut-Up
Wenn wir durch die Stadt laufen schauen wir mal in dieses Schaufenster, mal in jene Straße und mal auf ein Auto, das neben uns hupt. Das „normale“ Bewusstsein baut all diese Blicke (und natürlich noch viele mehr) zu einem Film zusammen und bindet sie mit Geräuschen, Gerüchen und Berührungen in einem einheitlichen Kontext. Die Aufmerksamkeit, die einem einzelnen Blick gewidmet wird, sinkt ab, bis Einzelbilder zum Film verschwimmen. Die psychedelische Erfahrung richtet die Aufmerksamkeit auf jeden einzelnen Blick.

Beim Betreten einer Bar kann es ein Blick auf die Tür sein, der Bedeutung erhält, oder einer auf den schweren weinroten Stoff des Windfangs, oder einer auf die bunte, beleuchtete Theke mit den Gästen, die an ihr zappeln. Es kann auch einer auf die Garderobe sein mit den Mänteln, die wie ernste Persönlichkeitsreste der fröhlichen Gäste wirken, die ihre Köpfe zusammenstecken und sich besorgt über etwas beugen. Der Film „Eine Bar betreten“ zerfällt in Bildfolgen mit ganz eigenen wechselnden Kontexten. Dadurch entstehen verschiedene Wirklichkeitsebenen, die – obwohl die semantische Klammer „Eine Bar betreten“ doch irgendwie hält – immer neue Eigenständigkeiten entwickeln.

Salvador Dalís „Dalí Nude…“ ist, ganz typisch für den Künstler, eine durchgängig realistische Darstellung, die ihre Geschichte mit Hilfe einer ungewöhnlichen Kombination von Objekten erzählt. Erst diese Kombination macht das Werk surrealistisch. Die Meeresöberfläche ist für Dalí zwar eine Haut. Diese Haut gehört aber, ebenso wie die Kugelkonstruktion, zur gleichen Wirklichkeitsebene wie alle übrigen Bildelemente.
Mati Klarweins „Moses und Aaron“ ist dagegen ein Zusammenschnitt, der aus zwei Personen, einer geometrischen Konstruktion, einer Schrift-Konstruktion und einer hyperrealistischen Landschaftsdarstellung besteht. Diese Bildelemente befinden sich auf verschiedenen Wirklichkeitebenen.
Das Stilmerkmal des Cut-Ups wurde ursprünglich von dem Schriftsteller Willam Burroughs entwickelt, der beim Schreiben seiner Texte mit Tonbandaufnahmen von Alltagsgeräuschen und Kommunikationsfetzen sowie mit Bildern und Collagen arbeitete. Bei Mati Klarwein können Cut-Ups aus der Kombination von realistischen und symbolistischen Wirklichkeitsebenen bestehen. Auch gestapelte Raumteile, zusammengesetzt ohne einheitliche Perspektive, finden sich häufig.
Innere Stilmerkmale
Symbolismus
Die Welt ist voller Zeichen. Bilder und Formen, Worte und Schrift repräsentieren nicht nur Dinge oder Ereignisse, sondern stehen auch für die Träume und Erinnerungen, Hoffnungen und Ängste, die mit diesen verbunden sind. In der psychedelischen Erfahrung nehmen wir immer noch die Oberfläche der Dinge wahr, aber wir spüren viel stärker die Vielfalt, die hinter dieser Fassade liegt.


Wir sind nicht in eine einfache Welt geworfen, sondern in ein vielfältiges Gewoge möglicher Welten, in denen alles miteinander in Beziehung treten kann. Hier sind mehr und bessere Wegweiser nötig. Zeichen und Symbole sind deshalb ein prominentes inneres Stilmerkmal Psychedelischer Kunst.

Phantastik
Psychedelische Kunst blickt in phantastische Welten. Diese Erfahrung teilt sie mit dem Symbolismus, dem Surrealismus, dem Phantastischen Realismus und der sogenannten Visionären Kunst.

Ernst Fuchs zeigt uns die realistische Darstellung einer phantastischen Welt.
Matis Portrait von Jimi Hendrix ist dagegen ein Zusammenschnitt aus vier Wirklichkeitsebenen: Portrait Jimi Hendrix, Feuer, Gras und Landschaft mit Reitern. Feuer und Gras weisen merkwürdig symmetrische Strukturen auf. Dieses Feuer ist kalt, es erleuchtet nicht, sondern verschattet und verdeckt. Jimi Hendrix hockt nicht etwa im Gras, sondern sein Kopf ist isoliert von den anderen Ebenen.
Die Besonderheit des psychedelischen Blicks liegt aber darin, dass er sich nicht, wie etwa der Phantastische Realismus oder die Visionäre Kunst, für die Wirklichkeit fremder Welten interessiert, sondern eher für die Negation der Endgültigkeit unserer Welt. Die psychedelische Erfahrung lehrt, dass Wirklichkeit nie endgültig ist. Das Ziel des Stilmittels der Phantastik liegt nicht im Eigentlichen des Fremden, sondern in der Negation des Bekannten.

Mati Klarweins Kunst wird oft als „Visionary Art“ oder „Fantasy Art“ bezeichnet. Der entscheidende Unterschied zu diesen Stilen ist aber, dass dort fremde Welten geöffnet werden, so wie in H.R. Gigers „Necronomicon“und Alex Greys „Artist’s Hand“. In Matis „Art Critic“ dagegen könnte das merkwürdige Wesen auch ein chemischer Dunst sein, der sich in einer Ecke des Swimmingpools gebildet hat. Das Monster ist gebunden, denn die umgebende Landschaft stellt keine Fantasiewelt dar sondern die in der für Mati typischen Weise „geordnete“ Realität unserer Welt.
Holismus
Die psychedelische Erfahrung zeigt, dass die Wirklichkeit, die wir normalerweise wahrnehmen, bei weitem nicht so abgeschlossen und festgefügt ist, wie sie auf den ersten Blick scheint. Alle unsere „normalen“ Wahrnehmungen warten nur darauf, erweitert zu werden. Wirklichkeit ist mehr, und noch mehr, weil alles sich mit allem immer neu verbindet. Dieses Kohärenzerlebnis, in dem erkannt wird, dass nichts in der Welt fremd und allein ist, sondern alles vertraut und verbunden, durchzieht jedes Werk der Psychedelischen Kunst.
Vorheriger Teil: Psychedelische Kunst
Fortsetzung: Mati Klarweins Werk, eine Übersicht
Mit freundlicher Unterstützung von Familie Klarwein, www.matiklarweinart.com