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Le nozze di Figaro von Erich Kleiber wird von vielen Musikliebhabern für eine nahezu vollkommene Studio-Aufnahme gehalten. Heutzutage ist Erich Kleiber vielleicht nicht so populär wie sein Sohn Carlos, aber er hat einen außerordentlichen Beitrag zur Geschichte der Interpretation Mozarts geleistet.
Seine Aufnahme von Le nozze di Figaro, Redoutensaal, Wien, Juni 1955, Wiener Philharmoniker, Decca, ist bedeutend, weil sie die erste Aufzeichnung der kompletten Oper einschließlich aller Rezitative ist. Aber nicht nur das. Die Aufnahme enthält auch die Arien von Marcellina und Basilio, die sonst oft ausgelassen werden, weil sie nicht wesentlich zur Handlung beitragen.
Die hervorragenden Besonderheiten von Kleibers Le nozze sind klangvolle Tiefe und das unermüdliche Forschen nach musikalischem Glanz. Denn dieser Glanz ist typisch für die Musik von Mozart. Und Kleiber erreicht diesen Glanz durch eine vollständige Auslotung der vertikalen Struktur der Harmonie. Auf diese Weise produzieren die Wiener Philharmoniker unter der Leitung Kleibers musikalisches Licht. Ein besonderer Verdienst kommt dabei auch der 94 kHz 24-bit Aufnahme-Technik von Decca Records zu.
Der kulturelle Hintergrund des musikalischen Puristen Kleiber wird überdeutlich. Er war nicht nur ein Vorkämpfer für neue Musik (war zum Beispiel beeinflusst von Janacek und Berg) sondern auch ein höchst anspruchsvoller Perfektionist, der die Probenarbeit mit fanatischem Eifer betrieb. Tempo und Schwung seiner Aufnahme sind sowohl wienerisch als auch universell. Das mitteleuropäische Österreich war musikalisch gesehen immer der Bauch der Welt, ein Quell von Einbildungskraft und schöpferischer Phantasie.
Wir haben bis jetzt nur über die Musik und den Dirigenten gesprochen. Aber auch das Orchester und die Sänger sind Teil der äußerst glücklichen Umstände dieser Aufzeichnung. Kleiber ist immer der Demiurg: er erschafft die Oper nicht (das war natürlich Mozart) aber sein Taktstock belebt die Partitur schon mit der ersten Note der Ouvertüre: Rhythmus, Wesentlichkeit und Farbe.
Der direkte Weg zum Ziel, ohne Streichungen, mit einem tiefen Bewusstsein für die Bedeutung der Rezitative. Kleiber respektiert das italienische Libretto Da Pontes und seine Aufmerksamkeit liegt nahezu auf jedem Wort. Dazu musst du wissen, dass nur Cesare Siepi (Figaro) Italiener war. Fernando Corena (Bartolo) war Schweizer mit italienischer Mutter und auch Lisa della Casa (Gräfin) war Schweizerin mit italienischem Vater. Trotzdem ist die Diktion der Sänger fast immer perfekt, bedeutungsvoll und trotzdem musikalisch.
Die Wiener Philharmoniker zeigen sich hier von ihrer besten Seite: schon die Ouvertüre ist eine Kombination aus Perfektion und Vitalität wie Mozarts Musik es verlangt. Besonders die Kontrabässe sind stürmisch und unglaublich lebhaft. Die Violinen und Bratschen spielen weich, zart, fast duftend. Die Blasinstrumente erstrahlen.
Und die Sänger?
Wichtigster Protagonist ist Cesare Siepi. Der mailändische Bass ist hier der Meister der Szene, ohne Zweifel. Eine regale Stimme, mächtig aber mit Maß, mit emporragenden hohen Tonen, gebräunten tiefen Tönen, perfekter Diktion mit einem überzeugenden und aristokratisch „rollenden R“. „Se vuol ballare“, „Non più andrai“ und „Aprite un po‘ quegli occhi“ singt er ideal: Figaro lebt in Siepis Stimme wie einige Monate zuvor auch sein Don Giovanni (Krips, 1955). Aber nicht nur in den Arien ist Siepi regal. In den Rezitativen und in den vier Finalen glänzt er besonders: die Resonanz der Stimme und die Tonqualität scheinen wie Samt.
Hilde Güden ist bei Kleiber eine süße und intelligente Susanna, in der Charakterisierung konsequent und treffend. Die Stimme entspricht dem Theatercharakter einer jungen Frau von praktischer Schläue. Susanna ist die Braut von Figaro und sie ist nicht zu jung und zu naiv, eher eine junge Frau aus dem Volk mit Scharfsinn und Sinn für Humor. In „Deh vieni, non tardar“ hören wir die Nuancen der Stimme Hilde Güdens, ihre aufgezeichnete Diktion, ihr beispielhaftes Legato, ihren beflügelten Atem. Wie sie den wundervollen Satz „Scusatemi se mento, Voi che intendete amor“ singt – das ist Mozart!
Lisa della Casa, eine Stimme, die Eleganz und die Anmut verkörpert. Die Contessa ist eine Aristokratin aber – wir sollten es nicht vergessen – sie ist auch immer noch Rosina, die Stieftochter von Don Bartolo. Bei Rossini, seht Rosina wie Susanna aus; bei Mozart, wird sie zur Contessa. Lisa della Casa kann diese Metamorphose darstellen und spielt dabei mit ihren Verkleidungen. Wer sagt „Almeno io per loro / Perdono otterrò“? La Contessa Rosina. Sie hänselt Almaviva, die Klugheit ist ganz auf ihrer Seite.
Lisa della Casa erreicht den Gipfel ihres Gesangs in der tragischen Arie „Dove sono i bei momenti“ und das Duett mit Susanna, „Canzonetta sull’aria“ ist eine perfekte Mischung zwischen der Rosina Rossinis und der Contessa Mozarts: ein elegantes Spiel von Witz und Klasse.
Die belgische Sopranistin Suzanne Danco ist eine weitere Perle dieser Aufzeichnung. Sie ist eine exzellente Donna Anna in „Don Giovanni“ gewesen (1955, Krips); hier verkörpert sie Cherubino mit allen Qualitäten, die diese Rolle verlangt: Frische, Unbefangenheit und ein bisschen Ambiguität. Sie bleibt Sopran aber sie schafft es, der Stimme eine jung-männliche Charakterisierung zu geben.
Alfred Poell, der Bass-Bariton Conte di Almaviva, ist vielleicht musikalisch nicht ganz so stark aber er hat eine wichtige Qualität: er kann die richtige Mischung aus ehrversessener Pedanterie und frecher Arroganz ausdrücken. Bei Rossini ist Almaviva ein romantischer Aristokrat – und Tenor –, bei Mozart wird er zum eifersüchtigen Angeber. Poell hat die perfekt unsympathisch heisere Stimme für diese Rolle. Vielleicht würde eine schönere Stimme stören. In der Arie „Vedrò mentr’io sospiro“, ist Poell zwar stimmlich nicht so stark, stellt aber Almavivas Zorn mit seinem Gesang hervorragend dar.
Der schweizerische Bass Fernando Corena ist ein „luxuriöser“ Bartolo. Eine so kleine Rolle mit einer so wundervollen Stimme besetzt zu hören ist eine Seltenheit. Die Arie „La vendetta“ ist einfach perfekt gesungen und Corena ziseliert die Rolle von Bartolo mit Kunst und Intelligenz.
Der schottische Tenor Murray Dickie skizziert die Rolle von Basilio mit jener unangenehm schleimigen Berechnung, die zu ihm passt. Aber auch die philosophische Arie „In quegli anni“ singt Dickie sehr überzeugend.
Marcellina ist der österreichische Contralto Hilde Rössel-Majdan. Die Rolle ist für einen Sopran geschrieben, aber für die Rezitative ist Rössel-Majdans Charakterisierung optimal. Das gilt jedoch nicht für die Arie „Il capro e la capretta“. Und in der Tat singt gar nicht die Majdan die Arie sondern Hilde Güden – sehr komisch und verfremdet. Eine Rolle, zwei Stimmen. Güden singt die Arie Marcellinas sehr gut aber vielleicht hat sie doch eine zu „junge“ Stimme für die Mutter Figaros.
Fazit
Diese Aufnahme ist eine außerordentliche musikalische Erfahrung, die jeder Liebhaber machen sollte. Erich Kleiber demonstriert hier eine von Mozarts Wundertaten: er bringt Musik zum Leuchten.
Autor:
Andrea Camparsi,
Peschiera del Garda – Italien
Vorheriger Teil: Drei Figaro-Inszenierungen
2 Gedanken zu “Wie man eine Oper zum Leuchten bringt”