Budapest ist eine sehr coole Mischung aus Wien und Paris. Sehr jung, sehr dynamisch. Improvisiert, überraschend, traditionell. Wir waren im April dort und neben all den Sehenswürdigkeiten ganz besonders von der Gastronomie beeindruckt. Vom Luxus-Kaffeehaus „New York“ über das Frühstücks-Bistro „Gerlóczy„, das Haute-Cuisine-Restaurant „Mak„, die Streetfood-Location „Ricsi’s“ irgendwo in der Baulücke und die dritt-coolste Bar der Welt „Szimplakert“ in einem heruntergekommenen Abbruchhaus: das alles war ungewöhnlich und wirklich gut.
Ganz besonders sollen aber hier zwei Plätze empfohlen werden, die den besonderen Charme der Stadt bestens repräsentieren.
Das Bistro „Macesz“ im jüdischen Viertel. Nicht weit von der großen Synagoge gelegen bot die Küche in diesem Bistro in der Dob Utca („Dob Straße“) eine Qualität, wie man sie nur selten findet. Eher traditionelle jüdische Gerichte werden so geschickt modernisiert, dass sie zu völlig neuen Erlebnissen werden. Die Bezeichnung „Bistro“ trifft hier übrigens zu: die Atmosphäre ist locker (die Ober benehmen sich im allgemeinen nicht besser als die Gäste), der Raum, Geschirr, Besteck und Tischwäsche sind hochwertig, schreien aber nicht „ich bin teuer!!!“. Die Portionen sind großzügig und die Preise sind OK. Ich hatte eine Rinderconsommé mit Gemüsen und Matzeball, danach Gänsekeule mit Erbsenpüree und gegrillten Polentascheiben.
Der „Salamibolt“. Dieser Laden ist spezialisiert auf Salami und andere ungarische Spezialitäten. Chef Attila ist ein sehr freundlich Mann (auch wenn er auf den Fotos vielleicht etwas schlitzohrig aussieht), der Salami liebt, dir seine Ware ausführlich erklärt und dich probieren lässt. Es gibt Salami von den unterschiedlichsten Tieren (sogar vom Wels) mit den unterschiedlichsten Würzungen.
Eine besondere ungarische Spezialität sind frische Gänsegrieben (ausgelassenes Fett mit der Haut, auf ungarisch „libatepertö“) – sehr fett für den deutschen Geschmack aber gut mit einem Glas Rotwein. Im Salamibolt kannst du auch draußen sitzen und Attila macht dir gerne einen gemischten Teller von Salami und Käse. Leider hat er keine Konzession für alkoholische Getränke, so dass du hier weder Wein noch Bier bekommst, sondern nur Wasser, Säfte und Kaffee. A propos Wein: es gibt (neben Balaton) erstaunlich viele ungarische Weine und einige davon sind richtig gut. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir der Sógor Kadarka von 2013, ein leichter Rotwein, der einem Pinot Noire sehr ähnlich ist. Kadarka ist eine autochthone ungarische Rebsorte. Der Sógor Kadarka kommt vom südungarischen Weingut Eszterbauer Boraszat. Diesen Wein kauften wir auf Empfehlung in der Doblo Wine Bar, die zufälligerweise genau gegenüber von unserem Appartement lag. Hier erhielten wir auch den Tipp, mal im Macesz essen zu gehen.
Aber genug vom Essen und Trinken. Haben wir denn sonst gar keine Interessen? Doch! Wir waren zum Beispiel in der Oper und haben eine Aufführung von Mozarts „Die Hochzeit des Figaro“ gesehen.
Die Oper in Budapest ist ein sehr opulenter klassizistischer Bau aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Im Unterschied etwa zur Oper in Düsseldorf liegt die Bühne deutlich unter der Augenhöhe der Besucher in der ersten Reihe, außerdem ist der Abstand zur Bühne, bedingt durch den Orchestergraben, etwas größer. Das hat zwei Vorteile: du schaust auch in der ersten Reihe nicht den Sängern unter die Schuhsohlen und bist so nah dran, aber doch weit genug weg, dass das Knarren von Holzplanken oder das Einatmen der Sänger die Illusion der Aufführung nicht stören. Die gesangliche und schauspielerische Leistung der Truppe war überzeugend, ebenso wie die Leistung des Orchesters. „La Nozze di Figaro“ ist eine meiner Lieblingsopern, die ich deshalb schon häufiger gesehen und gehört habe – diese Aufführung war eine der guten.
Wenn du in Budapest bist solltest du nicht versäumen, die große Synagoge zu besuchen. Der Bau wurde Mitte des 18. Jahrhunderts errichtet und ist die größte Synagoge in Europa. Während der deutschen Besatzung wurden, bis zur Befreiung des Budapester Ghettos am 18. Januar 1945, über 500.000 ungarische Juden ermordet. Noch in den letzten Tagen des Ghettos starben 8.000 bis 10.000 jüdische Menschen. Etwa 2.400 davon wurden in einem Hof der Synagoge, dem „Friedhof der Märtyrer“, beerdigt.
Hier zu stehen ist ein unheimliches Erlebnis – gerade für einen Deutschen. Natürlich bin ich als Nachgeborener nicht persönlich verantwortlich für den Tod und das Leid all dieser Menschen. Aber ich frage mich unwillkürlich: Wie hätte ich mich verhalten? Hätte ich weg gesehen? Hätte ich mitgemacht? Hätte ich geholfen? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass meine Erziehung, meine Werte und meine Kultiviertheit nur eine dünne Oberfläche bilden über etwas sehr Beunruhigendem. Und ich weiß, dass ich mich glücklich schätzen kann, dass ich bisher niemals einen ernsthaften Test bestehen musste, wie haltbar diese dünne Oberfläche ist.