Die Künstler von Deià / Musiker / Soft Machine
Es begann in Deià
Laura Riding hatte ein schreckliches Jahr 1933 hinter sich. Zwar war sie nun endlich in ihr Haus Ca n’Alluny bei Deià eingezogen. Aber sie lebte mit Robert Graves isoliert in diesem abgelegenen Dorf am Ende der Welt. Laura träumte von der Wiedererrichtung einer matriarchaischen Weltherrschaft. Die weiße Göttin suchte dringend Gefolgschaft.
George und Mary Ellidge gehörten schon seit 1932 zu ihrem engeren Kreis. Als Aufnahmebedingung hatte Laura die Forderung gestellt, dass Mary wieder ihren Mädchennamen Burtonwood annehmen musste. George hatte nichts dagegen gehabt.

Zu den „Insiders“ stießen 1934 Honor Wyatt und Gordon Glover, zwei englische Journalisten, die nach Deià gezogen waren um als freie Korrespondenten zu arbeiten. Sie hatten von Laura das Haus Can Pa Bo gemietet. So lernte man sich kennen und freundete sich an.
Die Atmosphäre in Ca n’Alluny war angespannt und obsessiv, aber auch kreativ und ausgelassen. Die kleine Gruppe arbeitete täglich bis zur Erschöpfung an ihren literarischen Projekten. Aber sie feierten auch exzessive und bacchantische Feste. Einmal trat Robert Graves der Überlieferung nach als Salomé auf und tanzte den Tanz der sieben Schleier. Wobei Teile von Lauras Unterwäsche als Schleier herhalten mussten.
George Ellidge und Honor Wyatt begannen eine Beziehung, aber Ende 1934 mussten die Ellidges Deià verlassen. Angeblich waren sie in eine Intrige gegen Laura verwickelt und hatten gegen die Regeln verstoßen.
Honor und Gordon kehrten zur Geburt ihres Sohnes Julian nach England zurück, aber 1935 waren sie zurück und übernahmen mehr und mehr Aufgaben in Ca n’Alluny. Honor hielt Robert Graves für ein Genie und Laura für eine Wiedergeburt von Jesus.
Mitte 1935 zog es Gordon erneut nach England zurück und er verliess Honor für eine andere Frau. Sie folgte später, die Beziehung der beiden war nicht vorbei, blieb aber wechselhaft, bis Honor sich 1941 endgültig trennte und mit ihren Kindern nach Bristol zog.
Sie blieb weiter Teil der „Insiders“ und ab 1937 festigte sich das Verhältnis zu George Ellidge. 1945 wurde der gemeinsame Sohn Robert in England geboren. Aber erst 1951, nachdem Mary und George Ellidge geschieden waren, konnte George schließlich Honor heiraten und sie zogen zusammen.
Honor Wyatts Haus
Honor und George waren ein unkonventonelles Paar. Sie schrieb für die BBC und moderierte eine Frauen-Sendung, er übernahm einen Job als Arbeitspsychologe. George war außergewöhnlich gut gebildet: abgeschlossenes Jurastudium in Liverpool, Master in Englisch und in Musik in Cambridge, Abschluss in Psychologie in Oxford. Abgesehen davon, dass sie eine wilde Ehe führten, ein uneheliches Kind hatten und viele Jahre nicht zusammen lebten, waren sie überzeugte Sozialisten und außerordentlich liberal. Georges Motto war „Ein Ellidge rebelliert gegen alle Regeln, die er nicht selbst gemacht hat“.

1956 bezogen sie Wellington House, ein großes Haus in der Nähe von Dover, und schickten Robert zur höheren Simon Langton School im etwa 20 Kilometer entfernten Canterbury.
In Simon Langton legte man großes Gewicht auf traditionelle Werte und damit kam der äußerst liberal erzogene Robert schnell in Konflikt, als er seine erste Band gründete. Das Üben an der Schule wurde verboten und deshalb trafen sich die Jungs in Wellington House. Über viele Jahre blieb Honor immer tolerant und war offensichtlich nicht besonders geräuschempfindlich. Denn außer der Band selbst hat wohl niemand mehr Musik der Soft Machine gehört als sie. Robert entwickelte ein besonderes Interesse für Jazz, wobei ihm die umfangreiche Plattensammlung seines Vaters zur Verfügung stand. Über dieses Interesse am Jazz lernte er den älteren Schüler Mike Ratledge kennen, der später zur ersten Formation der Soft Machine gehören sollte.
Da George Ellidge aufgrund einer Erkrankung nicht mehr arbeiten konnte, entschloss sich Honor, einige der 13 Zimmer in Wellington House unter zu vermieten. Ende 1960 zog ein abgedrehter 22-jähriger Australier ein.

Daevid Allen kannst du dir als einen fantasievollen, ziemlich weltfremden Kopf vorstellen, der mit dem australischen Erziehungssystem gar nicht gut zurecht gekommen war und die Schule geschmissen hatte. Für eine Arbeit als Aushilfe in einem Kaufhaus zeigte er wenig Begabung. Also sparte er etwas Geld zusammen und reiste mit 100 LPs, seiner Guitarre, einem Beutel Marihuana und der Berufsbezeichnung „Beat Poet“ nach Europa. Über Griechenland und Paris kam er nach London und fand zufällig in der Zeitung ein freies Zimmer zur Miete. So kam er in Honors Haus.
Robert zeigte sich schwer beeindruckt von soviel Coolness. Von Daevid lernte Robert eine neue Lebensperspektive, in der schulische Leistung keinerlei Rolle mehr spielte.
Kevin Ayers war für seine Familie der totale Versager. Er hatte mehrere Schulen und eine Ausbildung abgebrochen, lebte von Gelegenheitsjobs und schlief in verlassenen Häusern. Sein Leben war ein ständiges Hin und Her. Geboren 1944 in der Nähe von Canterbury in eine Familie, die der Vater, ein Fernsehproduzent, verließ als Kevin fünf Jahre alt war. Seine Mutter heiratete einen Kolonialbeamten und die neue Familie zog nach Malaysia. Kevin war ein problematisches Kind, aber er liebte das entspannte Leben und das gute Klima in Südostasien. Dieses entspannte Leben nervte seine Mutter. Sie schickte ihn mit neun Jahren zurück nach England auf eine Boarding School. Aber das ging nicht gut. Kevin kam zurück und setzte seine schulische Karriere in Malysia fort. Aber auch das ging nicht gut. Mit 12 Jahren schickte sie ihn erneut weg nach England. Direkt in eine weitere schulische Katastrophe.

Kevin, blond, gut aussehend und ständig verliebt, warb im Sommer 1960 um ein Mädchen, an dem auch noch ein anderer Typ stark interessiert war – Robert Wyatt. Das Mädchen bekam schließlich keiner aber die Jungs freundeten sich an.
Wellington House muss Kevin wie ein Paradies vorgekommen sein. Endlich ein Haus, in dem Erwachsene einen nicht drangsalierten und einem nicht ständig sagten, dass man alles falsch machte. Hier in diesem offenen Haus, aus dem Tag und Nacht Musik drang, fand Kevin endlich seine wahre Familie. Hier gab es interessante Menschen, Bücher und Platten, die zu hitzigen Diskussionen über Musik, Kunst und Philosophie anregten. Immer im Mittelpunkt Daevid Allen, der in unerschütterlichem Selbstbewusstsein die exzentrischten Ansichten darüber vertrat, wie man leben sollte. Kevin entdeckte die Musik von Miles Davis und anderen Jazzmusikern und übte fleißig auf der Guitarre. Das Haus war ständig voller Leute, nachts feierte man wilde Parties und morgens versorgte Honor alle mit einem guten Frühstück.
Kevin, Daevid und Robert, der harte Kern von Wellington House, lehnten Gesellschaft, Schule und Beruf immer entschiedener ab. Allein die Kunst, allein kreatives Schaffen konnte die Rechtfertigung dafür abgeben, auf dieser Welt zu sein.
… und immer wieder Deià.
Anfang 1962 brach Robert die die Simon Langton ab. Eine Universitätsausbildung würde es für ihn nicht geben. Mit dem Schlagzeuger George Neidorf floh er aus der unerträglichen schulischen Situation durch Frankreich nach Deià zu Robert Graves, dem alten Freund ihrer Mutter. Robert, neu verheiratet und Vater von vier weiteren Kindern, stellte ihnen eine der Fischerhütten in der Cala Deià zur Verfügung, wo sie in Ruhe bis spät in die Nacht üben konnten. Ihre Drums waren primitiv, zum Teil selbst gebastelt. Aber sie lernten den Maler Mati Klarwein kennen, der in einem Haus über der Cala lebte. Mati, ein fanatischer Bongospieler, lud die beiden manchmal auf seine Terrasse ein von wo das Trommeln nachts durch das Tal hinauf bis nach Deià drang. In Ca n’Alluny trafen sie auf Ramón Farrán, den Freund von Lucía Graves. Ramón war ein professioneller Jazz Drummer und gab Robert Unterricht. Sie blieben den ganzen Sommer.

Ende des Jahres kehrte Robert nach England zurück und zog Anfang 1963 zu Daevid in ein kleines Appartement in London. Die Veröffentlichung des ersten Albums der Beatles „Please please me“ inspirierte sie zur Gründung einer Band, die sie Daevid Allen Trio nannten. Der dritte Mann war der Bassist Hugh Hopper, ein Freund aus Canterbury.
Das Daevid Allen Trio hatte erste Auftritte, bei denen die Zuhörer allerdings fluchtartig den Saal verließen, da das Programm aus Free Jazz bestand mit gelegentlichen Vortragseinlagen von schwer verständlichen Gedichten. Als daraufhin keine weiteren Buchungen mehr folgten, löste sich das Trio wieder auf. Daevid zog nach Paris, Robert blieb in London und schlug sich so durch.
Mitte 1964 reiste Robert zurück nach Deià, nachdem er zuvor Daevid und seine neue Freundin Gilli Smyth in Paris besucht hatte. In Ca n’Alluny waren zu der Zeit gerade mehrere Musiker zu Gast, darunter der Jazz Saxophonist Ronnie Scott, der in London einen Club betrieb. Ramón Farrán und Lucía Graves hatten im Jahr zuvor den Indigo Jazz Club in Palma eröffnet, in dem Robert (der zur Unterscheidung von Robert Graves „Batty Robert“ genannt wurde) sich nun als Türsteher etwas Geld verdienen und als Drummer in der Hausband des Indigo spielen konnte. Kurz nach seiner Ankunft lud er Kevin Ayers ein und lebte mit ihm in der Fischerhütte unten in der Cala.
Am Ende des Sommers stieß Daevid zu ihnen, der aus Paris ein Schlagzeug für Batty mitbrachte. In wechselnden Besetzungen spielten sie immer wieder im Indigo.
Als Robert und Kevin im Herbst nach Canterbury zurückkehrten, waren ihre alten Freunde gerade dabei, eine Band zu gründen. Die beiden waren hoch willkommen, vor allem auch, weil Robert nun ein echtes Schlagzeug hatte. So gründeten sich die Wilde Flowers und hatten im Januar 1965 ihren ersten Auftritt.
Doch auch diese Band konnte kaum Fans begeistern. Wie Robert sich später erinnerte waren sie „die schlechteste Band aller Zeiten“. Im März hatte Kevin die Nase voll, verschwand über Nacht und tauchte kurze Zeit später in Deià bei Daevid Allen auf. Die Flowers spielten weiter und hatten bis 1966 eine gewisse lokale Bekanntheit erlangt, aber der große Durchbruch schien immer noch weit entfernt.
Der ausgeflippte Finanzier
Wenn du an Zufälle glaubst, dann kannst du glauben, dass Wes Brunson zufällig nach Deià kam. Der Unternehmer aus Tulsa, Oklahoma, hatte sich im Jahr 1966 nach Europa aufgemacht, um dort die Szene zu diggen. Kein Mensch weiss, warum es ihn nach Mallorca verschlug. Jedenfalls fuhr er an der malerischen Nordwestküste entlang, bis er in in einem kleinen Dorf ankam. Er war in Deià. Im Café Ca n’Pep Mosso lernte er Kevin Ayers kennen und warf einen Trip ein.
„Sex and Drugs and Rock’n Roll“ hatten den Ort bereits erheblich verändert. Seit Anfang der sechziger Jahre lag Deià auf einer Route, die von Marrakech bis Kathmandu führte und später als Hippie Trail bekannt wurde. Aus Marokko gelangte regelmäßig Haschisch und Marihuana ins Dorf. Mitte der sechziger Jahre ließen sich dann Paul Arnaboldi und David Solomon im Dorf nieder, zwei Vertraute von Timothy Leary, die LSD leicht verfügbar machten.
Auf seinem Trip erhielt Wes den göttliche Auftrag, alle seine irdischen Güter zu verkaufen und mit dem Geld das kommende neue Zeitalter der Erleuchtung zu fördern. Kevin überzeugte ihn davon, dass er dieses Ziel am besten erreichen konnte, wenn er eine englische Rockband finanzierte. Es traf sich gut, dass Daevid tags zuvor auf einem Trip ebenfalls die Vision einer neuen Rockband gehabt hatte und das, obwohl er Rockmusik eigentlich nicht ausstehen konnte. So unwahrscheinlich das auch war, Wes Brunson machte sich tatsächlich schon am nächsten Tag auf den Weg zurück nach Tulsa. Dort besaß er ein lukratives Unternehmen, das sich mit der Herstellung von Kontaktlinsen beschäftigte, die kurz zuvor erfunden worden waren. Außerdem betrieb er in Tulsa die Bar Evil Monkey. Beide Betriebe verkaufte er so schnell entschlossen, dass er im Mai bereits in Canterbury auftauchte, die Brieftasche prall gefüllt. Kevin und Daevid warteten schon auf ihn. Ein Haus wurde angemietet, Guitarren, Verstärker, Klamotten, Essen und Wein gekauft. Robert Wyatt machte begeistert mit und so gründete sich die neue Band Mr Head.
Aber wirklich Glück hatten sie immer noch nicht. Das lag ganz besonders an Wes, der ein totaler Chaot war und und eine zuverlässige Quelle von ständig neuem Ärger. Keiner war deshalb besonders traurig, als er sich bei einem Treppensturz so schwer verletzte, dass er zur Behandlung nach Oklahoma zurückkehren musste. Dummerweise ging mit ihm aber auch sein Geld.
Wenn es etwas werden sollte mit der Superband, dann mussten endlich Erfolge her. Kevin, der Organisator der Gruppe, nahm Kontakt mit Mike Jeffery in London auf, dem Manager der Animals.
Der zwielichtige Manager
Mike hatte ein Gespür für Musiktrends und führte erfolgreich einige Jazzclubs in Newcastle, aber in allererster Linie war er geldgeil. Das langfristige Potential eines Musikers interessierte ihn nicht – Hauptsache, seine Bands wurden im Radio gespielt, wozu er die Plattenverkäufe manipulierte. Wirtschaftlich interessanter als die Plattenverkäufe waren noch die Liveauftritte. Und Mike hatte kein Problem damit, seine Bands bis zur völligen Erschöpfung touren zu lassen. Durch geschickte Vertragsgestaltung und ein undurchsichtiges Firmengeflecht kanalisierte er die Einnahmen so, dass für die Künstler nicht viel mehr als ein Hungerlohn übrig blieb – sie mussten touren, um überleben zu können.

Die Animals hatten sich nach ihrer Mammuttournee durch die USA gerade aufgelöst, völlig erschöpft und zerstritten. Chas Chandler, ihr Bassist, war fest entschlossen, die prekäre Existenz als Mitglied einer der erfolgreichsten Rockbands der Zeit gegen die lukrativeren Tätigkeiten als Musikproduzent und Manager einzutauschen. In New York hatte er den viel versprechenden jungen Musiker Jimmy James kennen gelernt, den er in England groß rausbringen wollte. Dazu musste er leider doch wieder eine Partnerschaft mit Mike Jeffery eingehen. Kevin sprach genau zur rechten Zeit in der neuen Firma vor, denn natürlich sollte mehr als nur ein Star produziert werden. Und so erhielt Kevin im Sommer 1966 einen Songwriter-Vertrag.
Alle waren begeistert. Mike Ratledge, der mittlerweile sein Philosophiestudium in Oxford abgeschlossen hatte, stieß als Keyboarder zu Mr Head. Die Band zog nach London in eine Miniwohnung, wo sie wie die Sardinen in der Dose lebten. Durch Mikes Keyboard veränderte sich der Sound der Band und sie hatten das Gefühl, dass ein neuer Name her musste. Es war Kevin, der Soft Machine ins Spiel brachte, nach der gleichnamigen Erzählung von William Burroughs. Burroughs war der intellektuelle Held der Band und sowohl Daevid als auch Mike hatten ihn bereits persönlich kennen gelernt.

Ganz seriös entschieden sie, dass der neue Name nur mit Burroughs’ Einverständnis verwendet werden sollte, und entsandten Daevid, um die Zustimmung des großen Mannes einzuholen. Daevid traf den Autor irgendwo in London. Es muss eine Szene wie aus einem Agententhriller gewesen sein, Burroughs, Mantelkragen hochgeschlagen und Hut tief ins Gesicht gezogen, trat nervös aus dem Eingang eines Shops, hörte sich Daevids Bitte an, murmelte „Von mir aus“ und verschwand wieder.
Die Firma von Mike Jeffery übernahm kurz darauf das Management der Softs, zeigte aber kaum Aktivität. Immerhin machten sie einen Auftritt im Hamburger Star Club klar, wo die Beatles vier Jahre zuvor aufgetreten waren. In Hamburg wiederholten Soft Machine eine altbekannte Erfahrung – keiner wollte ihre Musik hören und der Clubbesitzer warf sie gleich am ersten Tag wieder raus. Das Problem der Softs war nach wie vor, dass die künstlerischen Interessen der Bandmitglieder sehr weit auseinander liefen und insbesondere Daevid Allen kaum Interesse an kommerziellem Erfolg hatte, sondern die Band als neodadaistisches Projekt betrachtete.
Tief frustriert schrieb Kevin auf dem Rückweg nach London das Stück „Love Makes Sweet Music“.
Underground
Aber dann schien es plötzlich aufwärts zu gehen mit der Karriere. Anfang Oktober traten die Softs zusammen mit Pink Floyd auf. Unterstützt wurden sie durch eine gewaltige Lightshow, die von Joel und Toni Brown gestaltet wurde, die am Millbrook Institute von Timothy Leary arbeiteten.
Am 15.10.1966 traten die Softs zusammen mit Pink Floyd und Yoko Ono beim „All Night Rave“ im Roundhouse auf. Daevid schob ein Motorrad auf die Bühne und untermalte mit dem Röhren der Maschine die Musik, Marianne Faithful gewann den Preis für das gewagteste Kostüm.
Einige Tage später sangen Robert und Kevin die Backvocals bei einer Studioaufnahme. Chas Chandler hatte Jimi James mittlerweile nach England gebracht und ein Trio gebildet, das als The Jimi Hendrix Experience vermarktet werden sollte. Am 23. Oktober wurde mit Hilfe der zwei Softs „Stone Free“ aufgenommen, die Rückseite der ersten englischen Single „Hey Joe“.
Schon im August 1966 hatten die Beatles mit „Revolver“ eine LP veröffentlicht, die eine neue Entwicklung einleitete, den Psychedelic Rock. Besonders bekannt wurde das als Single ausgekoppelte Stück „Yellow Submarine“.
Im Januar 1967 brachten die Softs mit „Love Makes Sweet Music“ ihre erste Single heraus, einen Monat vor Pink Floyds „Arnold Layne“. „Love Makes Sweet Music“ war eher ein einfacher Popsong, was Kevins und Roberts musikalischem Ansatz am meisten entsprach, während „Yellow Submarine“ und „Arnold Layne“ bereits starkes psychedelisches Potenzial entfalteten.
„Love Makes Sweet Music“ zeigt aber noch ein weiteres wichtiges Merkmal, in dem sich die Softs von den meisten anderen Rockbands unterschieden: Ihre Aufnahmen hatten nur wenig zu tun mit der Musik, die sie bei Liveauftritten spielten. Live bevorzugten sie ausführliche Improvisationen, die bis zu einer Stunde dauern konnten. Ihre Songs wandelten sie von Auftritt zu Auftritt ab, teilweise waren sie kaum wieder zu erkennen. Damit verzichtete die Band auf zwei wichtige Merkmale eines Hits, seine Wiedererkennbarkeit und seine Tanzbarkeit. Soft Machine waren und blieben die Band, die am konsequentesten das spielten, was sie selbst gut fanden, aber nicht unbedingt das Publikum.
„Es war keine Geringschätzung unserer Zuhörer,“ sagte Kevin später „ es war uns nur einfach egal, ob sie unsere Musik mochten“. Diese Philosophie brachte häufig Missfallenskundgebungen mit sich – das Publikum blieb am Ende eines Stücks stumm oder buhte gar. Zur Vermeidung solcher Unannehmlicheiten erfanden die Softs den Trick, ihre Stücke nahtlos ineinander übergehen zu lassen. Die Instrumente verstummten erst, wenn sie die Bühne verließen.
Trotz ihrer künstlerischen Kompromisslosigkeit spülte der unglaubliche Boom, den die psychedelische Rockmusik erlebte, auch die Softs nach oben. Sie wurden häufiger gebucht und taten sich mit Mark Boyle zusammen, der ihre fantastische Lightshow gestaltete. „Underground“ war das Schagwort des Jahres und Soft Machine wurden zu einem der Top-Acts des legendären Londoner Clubs UFO (für „Underground Freak Out“). Im Jahr 1967 traten hier nur Pink Floyd häufiger auf als die Softs. Weitere Clubs, in denen die Band regelmäßig spielte, waren das Middle Earth, das Speakeasy und das Roundhouse, wo sie mit Jimi Hendrix jammten.
Im Juli und August diesen Jahres waren sie für eine Tour entlang der Cote D’Azur gebucht. Wie meistens bei den Softs war die Organisation ziemlich chaotisch. Trotzdem hatten alle Spaß und einer der Höhepunkte war ein nächtlicher Nacktauftritt beim „Sunlove Festival“ vor einem beleuchteten Swimmingpool, in dem ein Teil der Zuhörer herumplanschte. Beim Publikum und bei der Kritik war die Tour ein großer Erfolg und Soft Machine war danach in Frankreich populärer als in England. Ende des Jahres wurde ihnen der Orden des Collège de ‚Pataphysique verliehen. „Pataphysik“ ist die Wissenschaft von den unerwarteten Problemen und postuliert einen imaginären Lösungsansatz. Die Theorie dazu wurde von dem Dada-Vorläufer Alfred Jarry Ende des neunzehnten Jahrhunderts entwickelt. Auf diese Auszeichnung waren die Softs zeitlebens besonders stolz.
Am 24. August setzte die Band mit der Fähre von Calais nach Dover über. Da Daevid Allens Visum abgelaufen war, wurde ihm als Australier die Einreise nach England verweigert. Und das war’s dann auch schon mit der Originalbesetzung der Softs. Die übrigen drei machten zunächst als Trio weiter, Daevid zog nach Paris und verfolgte andere avantgardistischen Projekte. Sein Ausstieg machte ihm nichts aus: „Als Beatnick-Hippie und ständig im Konflikt mit jeder sozialen Gruppe passte ich am wenigsten in die Band und flog deshalb als erster raus. Ich wollte am liebsten Gedichte vortragen und hasste es, Rockguitarre zu spielen“.
Es begann eine Entwicklung, die charakteristisch für Soft Machine werden sollte: der ständiger Wechsel in der personellen Zusammensetzung. Unter dem Bandnamen musizierten in 18 Jahren mehr als 20 verschiedene Musiker. Die vier Gründer der Band blieb dagegen nur ein Jahr zusammen.
Das US-Desaster
Am 05. Februar 1968 traten Soft Machine zusammen mit The Jimi Hendrix Experience in Tempe, Arizona, auf. Das „Sun Devils Gym“, eine Sporthalle der Arizona State University, war mit 5.000 Besuchern ausverkauft. Damit begann die gemeinsame US-Tour der beiden Bands.
Nachdem die ersten drei Singles von Hendrix in England jeweils die Hitparaden gestürmt hatten, entschlossen sich Chas Chandler und Mike Jeffery, Amerika zu erobern. Für das Management stand im Vordergund aller Überlegungen, wie möglichst viel Geld aus der Tour gezogen werden konnte. Dazu gründeten Chandler und Jeffery eine Firma in New York, die die Orgenisation der Auftritte übernahm. Die lokalen Veranstalter erhielten mit 10% nur etwa ein Viertel des sonst üblichen Anteils. Der Hype um Hendrix war unglaublichen und das Management hatte trotz der miesen Beteiligung kein Problem, Termine klar zu machen. Hendrix trat in den 79 Tagen zwischen dem 01. Februar und dem 19. April 68 mal auf, an einigen Tagen gab er sogar zwei Konzerte. Im Herbst des Jahres folgten weitere 53 Gigs. Die Organisation war unterirdisch, es ging im Zickzack durch Nordamerika, weil Mike nicht darauf geachtet hatte, die Auftritte verkehrsgünstig zu planen. Lieber zahlte er den Roadies etwas mehr Geld, die mit ihrem Truck über die Highways hetzten. Die Firma nahm bis zu 50.000 Dollar pro Auftritt ein. Nach dem üblichen Verfahren wurde das Geld über Konten auf den Bahamas geschleust und versickerte irgendwie. Die Musiker bekamen viel Ruhm, viel Ehre und wenig Geld, um das sie auch noch ständige Diskussionen führen mussten.

Die Softs waren auf die Anforderungen einer solchen Tour nicht vorbereitet. Dies hier war ein ganz anderes Ding als gemütlich an der Cote d’Azur entlang zu bummeln und ab und zu mal auf einer größeren Party aufzuspielen. Die Band war froh, als die Tour im April unterbrochen wurde. Jimi kehrte nach Europa zurück und spielte dort weitere Gigs, die Softs blieben in Amerika und nahmen in New York ihre erste LP auf.
Ende Juli begann in Baton Rouge der zweite Teil der US-Tour. Nach dem Erfolg des ersten Teils versprach der Herbst noch erfolgreicher zu werden. Die Hektik und der Druck nahmen zu. Chas Chandler trennte sich von Mike Jeffery, so dass auf die Belange der Musiker nun noch weniger Rücksicht genommen wurde. Mike hatte die Tour kurzfristiger und noch rücksichtsloser organisiert als den ersten Teil.
Etwas später im August führte Jeffery dann ein ominöses Telefonat. Der Anrufer meinte, dass die amerkanische Band Vanilla Fudge an der Jimi Hendrix Tour teilnehmen wollte. Mike antwortete, dass die Tour bereits durchgeplant sei und kein Bedarf für eine weitere Band bestünde. Worauf der Unbekannte am anderen Ende der Leitung ruhig aber bestimmt erklärte, er habe nicht gesagt, dass die Beteiligung der Band der Wille des Tourmanagements sei, sondern der Wille von Vanilla Fudge. Eine schnelle Recherche ergab, dass Vanilla Fudge unter der Kontrolle der Mafia stand und Mike kam zu dem Entschluss, dieses Angebot besser nicht abzulehnen.
Die Stimmung verschlechterte sich, denn die Leute von Vanilla Fudge und vor allem ihre finsteren Begleiter machten Stress. Soft Machine ließen immer deutlichere Zeichen von totaler Erschöpfung erkennen. Auch die Tatsache, dass Andy Summers als Guitarrist zu ihnen gestoßen war, führte nach anfänglicher Begeisterung zu neuen Spannungen und dann zu seinem schnellen Abgang. Nach dem Konzert in Hollywood am 14. September reichte es Kevin Ayers dann endgültig. Über Nacht und ohne vorherige Ankündigung reiste er über Formentera zurück nach Deià. Die Band löste sich auf. Robert Wyatt blieb in Los Angeles, zog in das Haus, das Jimi Hendrix dort gemietet hatte, und begann mit Studioaufnahmen, Mike Ratledge, Mark Boyle mit seiner Lightshow und alle anderen Begleiter der Band kehrten nach England zurück.
Ich bin kein Star – lasst mich hier raus!
Aber wie das Leben so spielt: Kurz nach dem Ende der Band entschloss sich die Plattenfirma, nun doch das erste Album der Softs zu veröffentlichen mit den Aufnahmen vom Sommer. Als die Verkaufszahlen gut aussahen, wurde zur Promotion eine neue Tour ins Gespräch gebracht. Robert und Mike stimmten zögernd zu, aber für Kevin war endgültig Schluss. Jahre später sagte er: „Die Amerikatour war meine erste echte Begegnung mit dem Showgeschäft und der Musikindustrie und ich mochte beides überhaupt nicht. Ich mag es immer noch nicht“. Und wieder änderte sich die Zusammensetzung der Band.
Aber nicht nur die Personen änderten sich, sondern auch die musikalische Richtung. Es ging immer weiter weg vom Rock und immer mehr hin zum Jazz. Die Musik wurde ernsthafter und die Band professioneller. Der chaotische, abgedrehte, dadaistische Spirit der frühen Jahre verlor sich. Und damit wurde Robert Wyatt zunehmend zum Außenseiter innerhalb der Band. Sensibel und emotional wie er war, lehnte er sich zunächst gegen diese Entwicklung auf. Wenn alle sich auf eine Idee geeinigt hatten, war er dagegen. Aber erkonnte den Konflikt nicht aushalten und verlor darüber sein Selbstbewußtsein. Das äußerte sich so, dass sein musikalischer Beitrag geringer wurde. Er hörte auf zu singen, spielte seinen Part an den Drums und zog sich ansonsten zurück.
Auf der USA-Tour 1971 verließ er immer häufiger während der Konzerte die Bühne, einfach weil er völlig verunsichert war. Zurück in London erzählte er eines Nachts in Ronnie Scott’s Bar ihrem Manager, er wünschte er wäre in einer anderen Band. Der erzählte es den anderen. Die anderen sagten: „OK, dann soll er sich eine andere Band suchen!“. Und ließen ausrichten, dass er nicht mehr gebraucht würde. So wurde Robert aus der Band geworfen. Die Soft Machine, die er einst mit Kevin Ayers und Daevid Allen gegründet hatte, diese Soft Machine waren tot.
Es ist viel darüber spekuliert worden, warum die Band, die so früh dabei war, als die Rockmusik sich entwickelte und die musikalisch so einflussreich war, nie zu der Supergruppe wurde, die sie vielleicht hätte sein können.
Aber Daevid, Kevin und Robert wollten keine Rockstars sein. So einfach war das.
Bei Kevin zeigte sich das besonders deutlich, denn immer wenn der Erfolg vor seiner Tür stand, floh er durch den Hinterausgang. Er hielt sich die ganze Zeit über für einen schlechten Musiker, der den Ansprüchen der Band und der Fans nicht genügte. Nach seinem Ausstieg bei den Softs lebte er viele Jahre in Deià, nahm zeitweise harte Drogen und geriet langsam in Vergessenheit. Dann veröffentlichte er 2007 die überraschend gute neue LP „Unfairground“. Als die in den Charts nach oben stieg und an alte Erfolge anzuknüpfen schien, sollte eine Tour organisiert werden. Doch Kevin floh gestresst nach Südfrankreich, wo er ein Haus besaß.
An „The Unfairground“ haben viele Musiker mitgewirkt, darunter auch Robert Wyatt. Robert war zwei Jahre nach seinem Rauswurf bei Soft Machine während einer wilden Party in London betrunken aus einem Fenster gestürzt und seitdem querschnittgelähmt. Gäste auf der Party waren auch Kevin und Daevid Allen.
Daevid lebte viele Jahre in Deià und verfolgte abgedrehte Kunstprojekte. Manchmal konnte man ihn bei Jam Sessions mit Kevin oder der Pa amb Oli Band hören. Mit seiner Frau Gilli Smyth ging er später in seine Heimat Australien zurück und starb dort 2015 an Krebs.
Kevin starb im Schlaf in seinem Haus in Südfrankreich am 18. Februar 2013. Er starb allein. Seit „The Unfairground“ hatte er alle Angebote abgelehnt, gab nie wieder ein Konzert, nahm nie wieder ein Stück auf. Seine Familie brachte seine Asche zurück nach Deià, wo er auf dem Friedhof oben bei der Kirche beigesetzt wurde.
„I don’t understand anything as I grow older
Nothing seems to be any clearer” (Kevin Ayers)