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Zu Mozarts Zeit gab es zwei Arten von Opern, die Opera seria und die Opera buffa. Der Unterschied war ähnlich wie heute zwischen U- und E-Musik. In der Opera seria stand ganz der Gesang im Vordergrund, die Darsteller kannst du dir als singende Schachfiguren vorstellen. In der Opera buffa ging es um genau umrissene Figuren, wie zum Beispiel den knurrigen Alten mit dem guten Herzen. Die lustige Wirkung entsprang einer Art Humormechanik, die diese Typen in unterschiedlichen Situationen aufeinandertreffen liess. Du kannst dir die Darsteller mehr oder weniger als singende Clowns vorstellen.
Mit Mozart wurde das alles anders. Er interessierte sich für die Menschen hinter den Figuren, für deren Gefühle von Liebe, Hass, Freude, Ärger, Melancholie. Diese Menschen machen psychologische Entwicklungen durch. Marcellina zum Beispiel beginnt im ersten Akt ganz buffa als komische (weil unbegattete) Alte. Im vierten Akt ist sie zur lebensklugen Frau geworden, die an Susanna glaubt, auch wenn einiges gegen diese zu sprechen scheint.
Am 26. September 1781 schreibt er über die Emotionen einer Figur aus der Entführung aus dem Serail:
Das „D’rum beim Barte des Propheten“ ist zwar im nehmlichen Tempo, aber mit geschwinden Noten. Und da sein Zorn immer wächst, so muss – da man glaubt, die Arie sei schon zu Ende – das Allegro assai ganz in einem anderen Zeitmasse und andern Tone eben den besten Effect machen; denn ein Mensch, der sich in einem so heftigen Zorne befindet, überschreitet ja alle Ordnung, Mass und Ziel, er kennt sich nicht – und so muss sich auch die Musik nicht mehr kennen.
Mozart legte allergrössten Wert auf die schauspielerischen Fähigkeiten seiner Sängerinnen und Sänger. Er verlangte, dass die Rollen natürlich gespielt werden sollten. In der Umsetzung dieser Natürlichkeit bestand die Kongenialität zwischen ihm und Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, dessen Komödie Le Mariage de Figaro die Vorlage zur Oper bildete.
So schreibt Mozart am 27. Dezember 1783 zu einer bestimmten Szene der nicht realisierten Oper Die Gans von Kairo:
Ferner ist es auch viel natürlicher, dass, da sie im Quartett alle einig sind, ihren abgeredeten Anschlag auszuführen, die Männer sich fort machen um die dazugehörigen Leute aufzusuchen und die zwei Frauenzimmer ruhig sich in ihre Clausur begeben. Alles was man ihnen noch erlauben kann, sind ein Paar Zeilen Recitativ.
Wenn uns die Hochzeit des Figaro heute noch interessiert, dann deshalb, weil wir uns musikalisch und schauspielerisch in diesen Menschen immer noch wiedererkennen.
Die Figaro-Konstellation hatte Mozart offensichtlich bereits 1783 im Kopf als er schrieb:
Das Notwendigste dabei aber ist … zwei gleich gute Frauenzimmerrollen hinein zu bringen. Die eine müsste seria, die andere aber Mezzo Carattere sein, aber an Güte müssten beide Rollen ganz gleich sein. Das dritte Frauenzimmer kann aber ganz buffa sein, wie auch alle Männer, wenn es nötig ist.
Beaumarchais’ Le mariage de Figaro konnte er da noch nicht kennen, denn die Uraufführung war erst ein Jahr später.
Was bedeutet eigentlich „Werktreue“ bei einer Inszenierung?
Die Oper im 18. Jahrhundert hatte ganz andere technische Möglichkeiten, als die Oper unserer Zeit. Die Sängerinnen und Sänger waren anders trainiert, verfügten über eine andere Art von Fitness.
Für die Menschen des 18. Jahrhunderts war der Figaro ein zeitgenössisches Stück. So wie kaum ein Regisseur auf die Idee kommen würde, die Schauspieler einer Tatort-Folge nach der Mode des Rokoko zu kleiden, so wäre damals wohl weder Mozart noch da Ponte auf die Idee gekommen, die Oper anders als zeitgenössisch einzurichten.
Lorenzo da Ponte hat sich in seinem Libretto – trotz vieler Kürzungen – genau an Beaumarchais’ Idee gehalten. Die ungewöhnliche Besetzung der Männer-Rolle des Cherubino mit einer Frau war vom Autor der Komödie vorgegeben, der überhaupt exakte Vorstellungen davon hatte, wie seine Figuren sein und in welcher Weise sie agieren sollten.
Figaros Hochzeit ist bekanntlich die Fortsetzung der Komödie Der Barbier von Sevilla. Aus diesem Vorläufer ergibt sich, dass der Graf und Figaro etwa gleich alt sein müssen. Gräfin Rosina dagegen dürfte um einiges jünger sein als als ihr Gatte, denn im Barbier war sie das junge Mündel des Bartolo. Da Bartolo wiederum der Vater von Figaro ist, müssen er und Marcellina (die Mutter Figaros) erheblich älter sein.
Susanna dürfte im Alter zwischen der Gräfin und Figaro liegen, eher näher bei Figaro, wenn du bedenkst, wie selbstsicher sie ihm im ersten Akt im Duett Se a Caso Madama gegenüber auftritt. Susanna kann also gut etwas älter sein als Rosina, keinesfalls aber jünger.
Daraus folgt, dass eine Inszenierung, bei der Graf und Gräfin deutlich älter sind als Figaro und Susanna, nicht werkgetreu ist. Dieser Graf ist kein alter Lüstling, sondern ein lüsterner Machtmensch.
Vergleich von drei Inszenierungen
Lass uns also drei Inszenierungen miteinander vergleichen, und zwar am Beispiel von zwei Musiknummern, in denen sich die Charaktere der Figuren besonders deutlich zeigen.
Beide Nummern stammen aus dem dritten Akt, es handelt sich um das Duett Crudel! Perché finora mit dem Grafen und Susanna und um das Duettino Che soave zeffiretto mit der Gräfin und Susanna.
Wir vergleichen dabei die Salzburger Inszenierung von 1963 (musikalische Leitung Lorin Mazeel), die von Gustav Rudolf Sellner verantwortet wurde, mit der Salzburger Inszenierung aus dem Jahr 2006 von Claus Guth (musikalische Leitung Nicolas Harnoncourt) und der Mailänder Inszenierung aus dem Jahr 2016 von Frederic Wake-Walker (musikalische Leitung Franz Welser-Möst).
Gustav Rudolf Sellners Inszenierung war 1963 sicherlich eher modern. Zwar tragen die Darsteller Kostüme in klassischer Rokoko-Ästhetik, aber im Bühnenbild wird dieses Design nur angedeutet. Die Entwicklung der Hauptfiguren ist überzeugend wenig klamaukhaft, lediglich Geraint Evans als Figaro überspielt ein wenig. Bartolo und Marcellina sind für meinen Geschmack am Anfang zu buffohaft, werden im Verlauf dann aber mehr und mehr zu echten Personen.
Claus Guths Inszenierung wurde von der Kritik als Provokation beurteilt, und das trifft wohl zu. Er schert sich offensichtlich nicht um Werktreue, ja inszeniert teilweise konträr zum Text. Dadurch bekommen die Personen etwas Künstliches, ihre Emotionen sind oft nicht erkennbar oder unplausibel. Der Graf als Neurotiker hat nichts mehr gemein mit dem sinnlichen Machtmenschen, den Beaumarchais und Mozart einst entworfen haben.
Wake-Wakers Inszenierung ist darstellerisch ausserordentlich dynamisch, ästhetisch offensichtlich beeinflusst von Musikvideos und modernem Kino wie zum Beispiel Alice im Wunderland von Tim Burton. Das gilt auch für die Ausstattung, die mit der Rokoko-Ästhetik spielt, diese aber zugleich zubtil unterläuft, so dass die Bilder wirken, wie Rokoko auf LSD.
Crudel! Perché finora
Angetrieben von ihrer Herrin Rosina, die einen Plan zur Bestrafung ihres Gatten hat, begibt sich Susanna unter einem Vorwand zum Grafen. Dieser behandelt sie zunächst sehr kühl. Erst als sie ihm signalisiert, dass sie seine Avancen vielleicht doch annimmt, bricht seine Lüsternheit wieder aus ihm heraus. Er bedrängt Susanna und kann doch kaum glauben, dass diese bereit ist zu einem Rendevous am Abend im Park.
Susanna hat Mühe ihren Herrn auf Distanz zu halten und fühlt sich nicht wohl bei ihrer Täuschung. In einem Beiseite-Text singt sie
Entschuldigt, wenn ich lüge, ich tu’s aus Liebe nur.
Dieses Unwohlsein mit der Lüge macht sie unkonzentriert und so verhaspelt sie sich zweimal bei ihren Antworten, sagt „Ja“ anstelle von „Nein“ und umgekehrt.
Diese Passage ist sicher der Höhepunkt des Duetts. Die komische Wirkung entsteht hier nicht etwa daraus, dass zwei Charakter-Karikaturen aufeinander treffen, sondern aus den unterschiedlichen Erwartungen der beiden Beteiligten.
Grausame! Warum weichst du mir nur aus?
Weil Frau’n sich zieren „Ja“ zu sagen.
Dann kommst du in den Park heut’ Nacht?
Ja, wenn es Euch gefällt …
Und ich werd’ nicht vergeblich warten?
Ihr werdet nicht vergeblich warten.
Und du kommst wirklich?
Ja!
Und ich werd’ nicht vergeblich warten?
Nein!
Und ich werd’ nicht vergeblich warten?
Ihr werdet nicht vergeblich warten.
Nun bin ich ganz zufrieden,
Vorfreude füllt mein Herz!
Entschuldigt, wenn ich lüge,
ich tu’s aus Liebe nur.
Dann kommst du in den Park heut’ Nacht?
Ja, wenn es Euch gefällt …
Und ich werd’ nicht vergeblich warten?
Ihr werdet nicht vergeblich warten.
Und du kommst wirklich?
Ja!
Und ich werd’ nicht vergeblich warten?
Nein!
Du kommst?
Nein!
Nein?
Natürlich komme ich.
Und ich werd’ nicht vergeblich warten?
Nein!
Du kommst?
Ja!
Und lässt mich nicht vergeblich warten?
Ja!
Ja?
Nein! Ganz sicher komme ich!
In der Salzburger Inszenierung von 1963 spielt Dietrich Fischer-Dieskau den Grafen mit zunehmend närrischer Verliebtheit. Nach den falschen Antworten von Susanna (Graziella Sciuti) deutet sich sofort ein herrisches Aufbrausen an, typisch für Almaviva, wenn er seinen Willen nicht bekommt. Aber Susanna besänftigt ihn jedesmal sofort wieder. Sie hat die Situation eigentlich im Griff und weicht seinen Annäherungen geschickt aus. Ihre Unkonzentriertheit tritt auf als sie glaubt, ihr kleiner Betrug sei bereits erfolgreich vollendet.
Claus Guth inszeniert das Duett gegen den Text. Susanna (Anna Netrebko) sagt ja ausdrücklich, dass es sich bei ihrem Nachgeben um eine Täuschung handelt. Aber Guth lässt sie am Ende der Nummer den Grafen (Bo Skovhus) ganz stürmisch küssen, ohne dass überhaupt eine Initiative von diesem ausgegangen wäre. Ganz im Gegenteil agiert Almaviva hier wie ein Psycho mit wachsender Irrationalität. Die Inszenierung zerstört die Psychologie der Szene, die Figuren handeln isoliert, die Unkonzentriertheit der Susanna wirkt ganz unmotiviert.
Frederic Wake-Walker lässt die psychlogische Disposition intakt. Susanna (Golda Schultz) entzieht sich geschickt, wenn es brenzlig wird und der Graf (Carlos Álvarez) sie zu sehr bedrängt. Susannas Unkonzentriertheit tritt auf, als sie sich suchend nach ihrer Herrin umschaut, wie in der Hoffnung auf ein Zeichen, dass es jetzt genug sei mit der Finte.
Che soave zeffiretto
Die Gräfin hat an dieser Stelle die Fäden fest in die Hand genommen und einen eigenen Plan entwickelt, mit dem ihr untreuer Ehemann bestraft werden soll. Diese Strafe ist aber keine Rache, sondern der Versuch, ihn wieder zu ihr zurück zu bringen. Figaro wurde nicht eingeweiht, denn durch seinen Leichtsinn hat er schon mal fast alles verdorben.
Zum Plan gehört, dass Susanna nun einen Brief an Graf Almaviva schreibt, in dem sie das zuvor verabredete Stelldichein fest macht. Es soll heute abend im Pinienhain des Schlossparks stattfinden.
In diesem Duettino diktiert die Gräfin den Text des Briefes, während Susanna die einzelnen Zeilen wiederholt. Schauspielerisch gibt es zwei Besonderheiten. An einer Stelle missversteht Susanna ihre Herrin und wird von dieser korrigiert. Dieses Missverständnis zeigt, dass Susanna da offensichtlich noch nicht versteht, was eigentlich der Plan ist. Im Verlauf des Duettino erfasst sie dann jedoch die Absicht der Gräfin.
Die zweite wichtige Stelle ist das
Il capirà (… das wird er schon versteh’n)
am Ende. Besonders diese Stelle drückt die Vertrautheit der beiden Frauen aus. Die Gräfin kann nämlich Susanna in ihren Plan nur deshalb einbeziehen, weil sie ihr voll vertraut und es keinerlei Grund zur Eifersucht gibt. Diese Vertrautheit schlägt aber nie in eine Vertraulichkeit um, die die Distanz bräche, die nach wie vor aufgrund des unterschiedlichen Standes besteht.
Wenn die angenehmen Lüfte …
… angenehme Lüfte …
… heute lau am Abend weh’n …
… am Abend weh’n …
… durch den kleinen Pinienhain …
… durch die kleinen Pinien …
… durch den kleinen Pinienhain.
… durch den kleinen Pinienhain.
Den Rest, den wird er schon versteh’n …
Ganz sicher wird er den versteh’n …
In der Inszenierung von Gustav Rudolf Sellner ist die Idee perfekt ausgeführt, diese Szene zwischen der Gräfin (Hilde Güden) und Susanna (Graziella Sciuti) ist darstellerisch für mich in ihrer Dezenz der Höhepunkt der ganzen Aufführung.
In der Inszenierung von Claus Guth kommen sich die beiden Frauen körperlich näher als in den anderen Beispielen. Trotzdem kommunizieren sie nicht wirklich und haben, bis auf eine kurze Stelle am Ende, keinen Blickkontakt, wenden sich nicht einander im Gespräch zu. Die körperliche Nähe – die Gräfin (Dorothea Röschmann) legt ihren Kopf in Susannas (Anna Netrebko) Schoss – wirkt deplaziert.
In der Inszenierung von Frederic Wake-Walker fällt auf, dass Susanna gar nicht schreibt. Dadurch wirkt die Korrektur-Szene unverständlicher, als sie vielleicht sein sollte. Die gegenseitige Zuwendung der Frauen tritt aber deutlich hervor, was sicher auch auf die dynamische Performance zurückzuführen ist, die diese Inszenierung auszeichnet. Durch das expressive Spiel von Diana Dernau (Gräfin) und Golda Schultz (Susanna) wird der charakterliche Unterschied ihrer Figuren ganz deutlich und deren Distanz bleibt gewahrt.
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Videos
Auf Youtube findest du die vollständigen Aufführungen:
Bildnachweise:
Szene aus Mailand 2016, M. Brescia / R. Amisano, Rechte bei Teatro alla Scala.
Gustav Rudolf Sellner, Rechte bei Stadtarchiv Darmstadt.
Claus Guth 2006, Rechte bei Claus Guth.
Frederic Wake-Walker mit Diana Damrau 2016, M. Brescia / R. Amisano, Rechte bei Teatro alla Scala.
Graf und Susanna 2016, M. Brescia / R. Amisano, Rechte bei Teatro alla Scala.
Gräfin und Susanna 2006, Rechte bei Monika Rittershaus.
Ein Gedanke zu “Drei Figaro-Inszenierungen – immer das Gleiche?”