Seit biblischen Zeiten ist die Ehre der Frau nicht privat sondern ein öffentliches Gut. Das kann lebensgefährlich sein – vor allem für die Frau. Davon erzählen die Geschichten aus dem Alten und dem Neuen Testament und die Bilder von Rembrandt, Rubens und Artemisia Gentileschi.
Die Geschichte von Susanna im Bade stammt aus dem Alten Testament. Sie handelt von einer jungen, hübschen Frau, die in ihrem von hohen Mauern umgebenen Garten ein Bad nehmen möchte. Was sie nicht weiss ist, dass sich zwei alte Lüstlinge eingeschlichen haben, die schon lange einen Blick auf sie geworfen haben …
Die Männer nähern sich ihr. Gierig. Lüstern.
Susanna wird nicht willig sein, das war schon vorher klar, aber sie soll sich ergeben: Bedenke, Dir bleibt doch nur die Wahl zwischen geheimer Schändung und allgemeiner Schande.
Susanna schreit. Öffentlichkeit strömt in ihren privaten Garten.
Die beiden Alten erheben üble Nachrede. Es sind mächtige, angesehene Bürger, wichtige Funktionsträger – wem soll man hier glauben?
Schande über Susanna, ihre Nacktheit wird zur Blöße!
Auftritt Daniel, der Prophet: Im heftigen Streit der Worte können zwei alte Machthaber nicht mithalten und verwickeln sich in Widersprüche. Die Macht der Logik stellt die Gier der Mächtigen bloß.
Die Geschichte muss neu erzählt werden und die Öffentlichkeit fällt ein neues Urteil.
Die Alten verlieren ihre Macht und ihr Leben an eine junge Ordnung. Die Unschuld des Opfers ist vorerst gerettet.
Denn auch hier besagt die Geschichte, dass die Unschuld der Frau nicht privates sondern öffentliches Gut ist.
Daniel 13, 1-64:
In Babylon wohnte ein Mann mit Namen Jojakim. Er hatte Susanna, die Tochter Hilkijas, zur Frau; sie war sehr schön und gottesfürchtig. Und ihre Eltern waren gerecht und hatten ihre Tochter nach dem Gesetz des Mose unterwiesen. Jojakim war sehr reich; er besaß einen Garten nahe bei seinem Haus. Die Juden pflegten bei ihm zusammenzukommen, weil er der Angesehenste von allen war.
Als Richter amtierten in jenem Jahr zwei Älteste aus dem Volk, von denen galt, was der Herr gesagt hat: Ungerechtigkeit ging von Babylon aus, von den Ältesten, von den Richtern, die als Leiter des Volkes galten. Sie hielten sich regelmäßig im Haus Jojakims auf und alle, die eine Rechtssache hatten, kamen zu ihnen.
Hatten sich nun die Leute um die Mittagszeit wieder entfernt, dann kam Susanna und ging im Garten ihres Mannes spazieren. Die beiden Ältesten sahen sie täglich kommen und umhergehen; da regte sich in ihnen die Begierde nach ihr. Ihre Gedanken gerieten auf Abwege und sie wandten ihre Augen davon ab, zum Himmel zu schauen und an die gerechten Strafen zu denken. Beide hatten wegen Susanna Liebeskummer; doch keiner sagte dem anderen etwas von seinem Schmerz. Denn sie schämten sich darüber, dass sie so begierig waren, mit ihr zusammen zu sein. Ungeduldig warteten sie jeden Tag darauf, sie zu sehen. Und sie sagten einer zum andern: Gehen wir nach Hause, es ist Zeit zum Essen. Sie trennten sich also und gingen weg. Dann aber kehrte jeder um und sie trafen wieder zusammen.
Sie fragten einander nach der Ursache und gestanden sich ihre Leidenschaft. Daraufhin verabredeten sie eine Zeit, zu der es ihnen möglich sein sollte, Susanna allein anzutreffen. Während sie auf einen günstigen Tag warteten, kam Susanna eines Tages wie gewöhnlich in den Garten, nur von zwei Mädchen begleitet, und wollte baden; denn es war heiß. Niemand war dort außer den beiden Ältesten, die sich versteckt hatten und ihr auflauerten. Sie sagte zu den Mädchen: Holt mir Öl und Salben und verriegelt das Gartentor, damit ich baden kann! Die Mädchen taten, wie ihnen befohlen war. Sie verriegelten das Tor und verließen den Garten durch die Seitenpforte, um zu holen, was ihnen aufgetragen war. Von den Ältesten bemerkten sie nichts, denn diese hatten sich versteckt.
Als die Mädchen weg waren, standen die beiden Ältesten auf, liefen zu Susanna hin und sagten: Das Gartentor ist verschlossen und niemand sieht uns; wir sind voll Begierde nach dir: Sei uns zu Willen und gib dich uns hin! Weigerst du dich, dann bezeugen wir gegen dich, dass ein junger Mann bei dir war und dass du deshalb die Mädchen weggeschickt hast. Da seufzte Susanna und sagte: Ich bin bedrängt von allen Seiten: Wenn ich es tue, so droht mir der Tod; tue ich es aber nicht, so werde ich euch nicht entrinnen. Es ist besser für mich, es nicht zu tun und euch in die Hände zu fallen, als gegen den HERRN zu sündigen. Da schrie Susanna mit lauter Stimme auf. Aber zugleich mit ihr schrien auch die beiden Ältesten und einer von ihnen lief zum Gartentor und öffnete es.
Als die Leute im Haus das Geschrei im Garten hörten, eilten sie durch die Seitentür herbei, um zu sehen, was ihr zugestoßen sei. Als die Ältesten ihre Erklärung gaben, schämten sich die Diener sehr; denn noch nie war so etwas über Susanna gesagt worden. Als am nächsten Morgen das Volk bei Jojakim, ihrem Mann, zusammenkam, erschienen auch die beiden Ältesten. Sie kamen mit der verbrecherischen Absicht, gegen Susanna die Todesstrafe zu erwirken. Sie sagten vor dem Volk: Schickt nach Susanna, der Tochter Hilkijas, der Frau Jojakims! Man schickte nach ihr. Und sie kam, begleitet von ihren Eltern, ihren Kindern und allen Verwandten. Susanna war aber sehr zart und schön von Aussehen. Sie war aber verschleiert. Um sich an ihrer Schönheit zu weiden, befahlen die Gewissenlosen, sie zu entschleiern. Ihre Angehörigen aber und alle, die sie erblickten, weinten.
Die beiden Ältesten aber standen auf inmitten des Volkes und legten ihre Hände auf den Kopf Susannas. Sie aber blickte weinend zum Himmel auf; denn ihr Herz vertraute dem HERRN. Die Ältesten sagten: Während wir allein im Garten spazieren gingen, kam diese Frau mit zwei Mägden herein. Sie ließ das Gartentor verriegeln und schickte die Mägde fort. Dann kam ein junger Mann zu ihr, der sich versteckt hatte, und legte sich zu ihr. Wir waren gerade in einer abgelegenen Ecke des Gartens; als wir aber die Sünde sahen, eilten wir zu ihnen hin und sahen, wie sie zusammen waren. Den Mann konnten wir nicht festhalten; denn er war stärker als wir; er öffnete das Tor und entkam. Aber diese da hielten wir fest und fragten sie, wer der junge Mann war. Sie wollte es uns aber nicht verraten. Das alles können wir bezeugen.
Die versammelte Gemeinde glaubte ihnen, weil sie Älteste des Volkes und Richter waren, und verurteilte Susanna zum Tod. Susanna aber schrie auf mit lauter Stimme und sagte: Ewiger Gott, du kennst auch das Verborgene; du weißt alles, noch bevor es geschieht. Du weißt auch, dass sie eine falsche Aussage gegen mich gemacht haben. Darum muss ich jetzt sterben, obwohl ich nichts von dem getan habe, was diese Menschen mir vorwerfen.
Der HERR erhörte ihr Rufen. Als man sie zur Hinrichtung führte, erweckte Gott den heiligen Geist in einem jungen Mann namens Daniel. Dieser schrie mit lauter Stimme: Ich bin unschuldig am Blut dieser Frau. Da wandten sich alle Leute nach ihm um und fragten ihn: Was soll das heißen, was du da gesagt hast? Er trat mitten unter sie und sagte: Seid ihr so töricht, ihr Söhne Israels? Ohne Verhör und ohne Prüfung der Beweise habt ihr eine Tochter Israels verurteilt. Kehrt zurück zum Ort des Gerichts! Denn diese Ältesten haben eine falsche Aussage gegen Susanna gemacht. Eilig kehrten alle Leute wieder um und die Ältesten sagten zu Daniel: Setz dich hier mitten unter uns und sag uns, was du zu sagen hast! Denn dir hat Gott den Vorsitz verliehen.
Daniel sagte zu ihnen: Trennt diese beiden Männer, bringt sie weit auseinander! Ich will sie verhören. Als man sie voneinander getrennt hatte, rief er den einen von ihnen her und sagte zu ihm: In Schlechtigkeit bist du alt geworden; doch jetzt kommt die Strafe für die Sünden, die du bisher begangen hast. Ungerechte Urteile hast du gefällt, Schuldlose verurteilt, aber Schuldige freigesprochen; und doch hat der HERR gesagt: Einen Schuldlosen und Gerechten sollst du nicht töten. Wenn du also diese Frau wirklich gesehen hast, sage: Unter welchem Baum hast du sie miteinander verkehren sehen? Er aber sagte: Unter einem Mastixbaum. Da sagte Daniel: Mit deiner Lüge hast du dein eigenes Haupt getroffen. Der Engel Gottes wird dich zerspalten; schon hat er von Gott den Befehl dazu erhalten. Dann ließ er ihn wegbringen und befahl, den andern vorzuführen. Zu ihm sagte er: Du Sohn Kanaans, nicht Judas, dich hat die Schönheit verführt, die Leidenschaft hat dein Herz verdorben. So tatet ihr an den Töchtern Israels und jene verkehrten mit euch, weil sie sich fürchteten; aber eine Tochter Judas duldete eure Gesetzlosigkeit nicht. Nun sag mir: Unter welchem Baum hast du sie ertappt, während sie miteinander verkehrten? Er sagte: Unter einer Eiche. Da sagte Daniel zu ihm: Mit deiner Lüge hast auch du dein eigenes Haupt getroffen. Der Engel Gottes wartet schon mit dem Schwert in der Hand, um dich mitten entzweizuhauen. So wird er euch beide vernichten.
Da schrie die ganze Gemeinde laut auf und pries Gott, der alle rettet, die auf ihn hoffen. Dann erhoben sie sich gegen die beiden Ältesten, die Daniel durch ihre eigenen Worte als falsche Zeugen entlarvt hatte. Das Böse, das sie ihrem Nächsten hatten antun wollen, tat man nach dem Gesetz des Mose ihnen an: Man tötete sie. So wurde an jenem Tag unschuldiges Blut gerettet. Hilkija und seine Frau priesen Gott wegen ihrer Tochter Susanna, ebenso ihr Mann Jojakim und alle Verwandten, weil sich zeigte, dass sie nichts Schändliches getan hatte. Daniel aber gewann seit jenem Tag und auch weiterhin beim Volk großes Ansehen.
Rembrandts Sicht

Das Susanna-Motiv ist in der Malerei auf unterschiedliche Weise dargestellt worden, abhängig davon, als wie massiv der jeweilige Maler die Belästigung interpretiert hat und wie er Susanna darauf reagieren lässt.
Bei Rembrandt sind die alten Männer Spanner. Den einen glauben wir zu erkennen, im Gebüsch verborgen, am rechten Bildrand in mittlerer Höhe knapp über den etwas heller ausgeführten Pflanzen.
Susanna wird als Opfer dargestellt, das gerade in diesem Moment überrascht wurde. Sie weiß, dass sie entblösst ist und in einer klassischen weiblichen Bewegung versucht sie, Scham und Busen zu bedecken.
Im 17. Jahrhundert war es üblich, Nacktheit lediglich in enger Verbindung mit einer moralischen Lehre darzustellen. Immer lag Moral im Interesse von Auftraggeber und Künstler. Nacktheit war nichts als eine unvermeidliche Begleiterscheinung, ohne die die fromme Geschichte nicht erzählt werden konnte. Leider.
Auf diese Weise kamen reiche Auftragsgeber an grosse Bilder mit schönen, unbekleideten Frauen.
Obwohl Rembrandt hier sicher den Wünschen seines Auftraggebers entsprechen wollte, gelang ihm doch eine überraschende Innovation. Denn so sehr du das Bild auch untersuchst, den zweiten Alten kannst du nicht sicher identifizieren. Verschmilzt auch er mit dem Blätterwerk, oder sind da nichts als Blätter, in die du Hände, Augen und Gesichter nur hineininterpretierst? Ist da nichts als deine eigene Phantasie? Deine Lust, deine Gier?
Susanna wurde gerade überrascht, soviel steht fest. Doch von wem? Von dem Alten, der hinter ihr im Gebüsch steht? Unwahrscheinlich, denn den kann sie ja gar nicht sehen. Sie scheint aber doch auf etwas zu schauen, das sie überrascht hat und vor dessen Blicken sie sich schützen muss.
Und das ist tatsächlich so. Da ist ein zweiter Betrachter, der sie überrascht und vor dem sie erschrickt. Und dieser zweite Betrachter bist du.
Rubens’ Sicht

Rubens interpretiert die Szene in dieser Version anders als Rembrandt. Hier ist Susanna nicht nur entblösst, sondern auch angreifbar. Genauer gesagt, einer der Alten entblösst sie, der andere greift sie an.
Der Angreifer ist dabei über ein Geländer zu steigen, ein Unterschenkel ist nackt, er dringt mit Macht in ihren Garten ein, was du durchaus als bewusst gesetzte sexuelle Metapher verstehen darfst.
Susanna schaut bei Rubens nicht nur überrascht und erschrocken, sondern geradezu ängstlich. Sie macht eine Fluchtbewegung, wirkt wie in eine aussichtslose Enge getrieben.
Was Rubens hier eigentlich darstellt, ist, so scheint es, der Beginn einer Vergewaltigung. Der Bibeltext gibt das aber nicht her, jedenfalls nicht im wörtlichen Sinn. Was wollte der Maler also sagen?
Nach allem, was man von Rubens weiß, war er ein kluger und beherrschter Mann, der in glücklicher Ehe lebte. Darüber hinaus war er einer der kommerziell erfolgreichsten Maler aller Zeiten. Das Susanna-Motiv gehörte zu seinem Standardrepertoire und in der Regel interpretierte er die Geschichte als Vergewaltigung. Wir werden vermutlich nie erfahren, warum er gerade diese Interpretation bevorzugte: Wollte er eine Aussage machen über die Beziehung zwischen Macht und Sex? Oder lieferte er einfach genau das, was reiche männliche Kunden zu seiner Zeit gerne sehen wollten?
Artemisia Gentileschis Sicht

Artemisia Gentileschi malte dieses Bild in engem zeitlichen Zusammenhang mit ihrer eigenen Vergewaltigung und einem sich daran anschliessenden Gerichtsprozess.
Ihre Susanna wirkt nicht entblösst, sie ist auf eine selbstverständliche Weise nackt, weil sie ja gerade ein Bad nehmen will. Vielleicht findest du es auch erstaunlich, dass, obwohl ihre Nacktheit expliziter dargestellt ist als bei Rembrandt und Rubens, sie doch nicht wehrlos wirkt. Diese Susanna ist offensichtlich kein Opfer.
Wenn es auch auf den ersten Blick so wirkt, als würden die Alten sie berühren, so ist das doch nicht der Fall. Die Männer greifen mit ihren rechten Händen vielmehr an die Mauer vor der Susanna sitzt. Die Malerin erreicht den Effekt einer unangenehmen Nähe, indem sie den Schatten zurücknimmt, den Susannas Oberkörper links auf die Mauer wirft. Die Mauer müsste an dieser Stelle dunkler sein als rechts vom Körper, wo das von rechts einfallende Licht zwischen Susannas linkem Arm und dem linken Arm des grauhaarigen Alten auf die Mauer treffen sollte. Aber Artemisia Gentileschi setzt den Schatten nicht. Dadurch werden die Räume eng.
Andererseits sind die Alten hier keine Spanner, sie haben kein Interesse sich zu verbergen. Nun könntest du dannehmen, dass das Gespräch zwischen der Frau und den Eindringlingen dargestellt wird, in dem diese versuchen, mit Drohungen zu erlangen, was ihnen freiwillig nicht gewährt wird.
Aber schau genau hin, die Männer scheinen gar nicht mit Susanna zu sprechen, sondern untereinander. So als diskutierten sie ganz ungeniert ihren gemeinen Plan vor ihrem zukünftigen Opfer. Der Finger des rechten Mannes könnte zwar als „Schschsch“-Geste, also eine Besänftigung, gedeutet werden. Der Finger könnte aber auch nachdenklich an die Lippen gelegt sein, beim Abwägen des Vorschlags seines Kumpanen. Die beiden Alten sind bei Artemisia Gentileschi die Inkarnation der Fama, der üblen Nachrede.
Susannas Haltung ist auffällig. Sie macht eine Abwehr- aber keine Fluchtbewegung. Sie schaut genervt und fuchtelt mit den Händen, so als wolle sie zwei lästige Insekten verscheuchen.
Diese Suanna ist kein Opfer, sie wird sich ganz entschieden wehren und das wird für die alten Säcke kein Spass werden.
„Die Ehre der Frau“ – alle Posts:
Samson und Delilah
Lucretia
Susanna im Bade
Bei der Recherche habe ich mich auf folgende Quellen gestützt:
- Dash, Mike, „Tulpenwahn. Die verrückteste Spekulation der Geschichte“, 1999, München: Verlagshaus Goethestraße.
- Garrard, Mary D., „Artemisia Gentileschi“, 1989, Princeton: Princeton University Press.
- Livius, Titus, „Römische Geschichte“, 1987, München: Artemis-Verlag
- Schama, Simon, „Rembrandts Augen“, 2000, Berlin: Siedler Verlag.
- Schütze, Sebastian, „Caravaggio – Das vollständige Werk“, 2009, Köln: Taschen Verlag.
- Stellen aus der Bibel werden zitiert nach www.bibleserver.com
Weitere Daten und alle Bilder wurden aus der deutschen Wikipedia übernommen.
Titelbild dieses Posts: Gentileschi. Susanna im Bade. 1610. Öl auf Leinwand. 170×121 cm. Pommersfelden, Schloss Weißenstein, Schönbornsche Kunstsammlung.