Aktien, Immobilien, Bitcoin. Noch niemals zuvor sind Vermögenswerte so abgegangen wie in den letzten Monaten. Dies ist ist die Zeit, in der Millionäre gemacht werden. Gewaltige Wertsteigerungen in kurzer Zeit, 100, 200, 300 Prozent! Hättest du doch nur mal 10.000 Euro riskiert, dann wärest du vielleicht heute morgen aufgewacht mit einem Vermögen von 500.000 Euro. Und das könnte erst der Anfang sein.
Komm, steig ein in meinen traumhaften Sportwagen der Nobelmarke Esperanza 4.0 – der schnellste und schönste von allen. Ich nehme dich mit! Wir brettern zur Goldküste und werden Millionär!
Aber kaum hat unser glänzendes Geschoss volle Fahrt aufgenommen, müssen wir sehen, dass mitten auf der Straße ein großer, grauer Betonklotz liegt, auf den wir direkt zusteuern. Holy Shit! Das darf nicht sein, der muss da weg!
Dieser graue Klotz im Weg ist eine üble Theorie, ersonnen von einem Ami, der uns den Spaß verderben will. Kurz gesagt behauptet er, dass wir uns bloß nicht einbilden sollen wir wüßten etwas, das andere nicht schon vor uns wußten. Alles, was es über den Wert einer Aktie oder des Bitcoin zu wissen gibt, ist schon bekannt und im Preis berücksichtigt. Deshalb, sagt er, können wir keine Gewinner herauspicken, können wir nur wetten auf irgendwas, in der Hoffnung, dass morgen eine überraschende Information, die niemand vorhergesehen hat, den Kurs nach oben katapultiert.
Die Kurse von morgen, übermorgen und allen zukünftigen Tagen sind nichts als Zufall. Ihre Entwicklung ähnelt dem torkelnden Gang eines Betrunkenen, der in sein schönes, weiches Bett will, aber vielleicht am Ende in der Gosse landet.
Auf ihrem Random Walk schwanken die Aktienkurse von hier aus irgendwohin. Es kann noch oben gehen, sicher, aber genauso gut kann der Weg auch in den Abgrund führen. Sagt der Ami.
Bevor wir also auf unserem Weg zur Goldküste richtg Gas geben können, muss dieser graue Klotz weg, der uns sonst alles verderben wird.
Sind Aktienkurse Zufall?
Der amerikanische Ökonom Eugene F. Fama hat in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts zwei äußerst einflussreiche Aufsätze darüber geschrieben, wie Märkte (z.B. der Aktienmarkt) sich entwickeln und wie sich Preise in diesen Märkten bilden (Fama 1965; Fama 1970).

Die wichtigsten Ergebnisse seiner Untersuchung lassen sich verkürzt so zusammen fassen:
(1) Märkte sind effizient (Markteffizienzhypothese), das bedeutet, dass Marktpreise (z.B. Aktienkurse) jederzeit und vollständig alle verfügbaren Informationen widerspiegeln und
(2) die zukünftigen Preise bilden sich in Form eines Random Walk, also zufällig.
Obwohl Fama komplexe Beweise mit Hilfe statistischer und probabilistischer Methoden führt, sind seine Thesen selbst einfach zu verstehen. Es ist deshalb kaum verwunderlich, dass sie Anstoß für vielfältige Diskussionen gegeben haben. Fama ist für seine Arbeit 2013 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet worden.
Kritiker haben es mehrfach unternommen, Fama theoretisch und/oder empirisch mit finanzwissenschaftlichen Methoden zu widerlegen. Aber immer noch ist die Markteffizienzhypothese der Klassiker, der in fast jeder Diskussion über Aktienmärkte vorkommt.
Famas Thesen werden fast immer mit finanzwissenschaftlichen Argumenten kritisiert und falls du eher an dieser Perspektive interessiert bist, empfehle ich dir die interessante und gut zu lesende Übersicht dazu von Andrew Ang (Ang, Goetzmann, Schaefer, 2010).
Hier und heute untersuchen wir die Thesen aber mit einfachen Methoden aus der Aussagenlogik und der Wissenschaftstheorie.
Und wir können uns alle wieder beruhigen, die rasende Fahrt in unserem Esperanza 4.0 geht weiter, weil Fama bei seinem Efficient Markets Model von widersprüchlichen Prämissen ausgeht und in seiner These vom Random Walk von Wahrscheinlichkeiten auf Kausalität schließt, ohne zu begründen, warum dies zulässig sein sollte.
Das Efficient Markets Model
Das Efficient Markets Model ist sowohl eigenständige These als auch Prämisse für Famas weitere These, dass sich Aktienkurse zufällig bilden. Deshalb müssen wir erst das Markteffizienzmodell untersuchen, bevor wir uns dem Random Walk zuwenden können.
In seinem Aufsatz „Efficient capital markets: A review of theory and empirical work“ (Fama, 1970, S. 383) definiert Fama den Begriff des „Effizienten Marktes“ als „A market in which prices always ‚fully reflect’ available information“.
Diese Definition ist sehr kurz und es stellt sich die Frage, was „Information“ und „verfügbar“ bedeuten, und wann genau verfügbare Information „vollständig reflektiert“ ist.
Die strikte Form des EMM
Famas ursprüngliche Liste von Bedingungen
Für sein Modell nimmt Fama verschiedene Bedingungen an, die er folgendermaßen ausführt:
„It is easy to determine sufficient conditions for capital market efficiency. For example, consider a market in which (i) there are no transactions costs in trading securities, (ii) all available information is costlessly available to all market participants, and (iii) all agree on the implications of current information for the current price and distributions of future prices of each security. In such a market, the current price of a security obviously ‚fully reflects’ all available information.“ (Fama, 1970, S. 387)
Man muss Fama hier so verstehen, dass jede der drei Bedingungen notwendig ist, sie aber nur zusammen hinreichend sind:
(1) Es gibt keine Transaktionskosten.
(2) Die verfügbare Information ist kostenlos für alle Marktteilnehmer.
(3) Alle Marktteilnehmer stimmen in der Bewertung der Information überein.
Wenn auch nur eine Bedingung nicht erfüllt ist, kann der Markt nicht effizient sein.
Auffällig an dieser Liste ist, dass sich die Bedingungen (2) und (3) auf Information beziehen, Bedingung (1) auf den ersten Blick aber nicht. Doch die Bedingung kann leicht so umformuliert werden, dass alle Marktteilnehmer über die Information verfügen müssen, dass keine Transaktionskosten anfallen. Diese Formulierung erhöht sogar die Präzision der Bedingung, denn auch wenn Marktteilnehmer nur fälschlich annähmen, es gebe Transaktionskosten, könnte dies den Markt ineffizient machen.
Darüberhinaus fehlen in Famas Liste zwei weitere notwendige Bedingungen, die er in seiner Definition mit der Formulierung „always fully“ anspricht.
Die „fully“-Bedingung
In diesem Kontext kann „fully“ zwanglos mit „vollständig“ übersetzt werden. Diese Bedingung kann man so verstehen, dass kein Bedeutungsverlust bei der Kenntnisnahme eintreten darf und zwar weder durch eine unvollständige Übermittlung noch durch ein mangelndes Verständnis auf der Seite des Empfängers. Denn wenn ein Marktteilnehmer im Gegensatz zu anderen eine Information unvollständig erhält oder falsch versteht, kann er nicht mehr so handeln, dass am Ende der Preis die Information vollständig reflektiert.
Die „always“-Bedingung
„Always“ bedeutet im engeren Sinne „immer“ bzw. „stets“. Wir können uns „immer“ als Zeitreihe mit unendlich vielen Punkten vorstellen IT+0, IT+1, …, IT+n, wobei IT+0 den Zeitpunkt bezeichnet, an dem die Information zum ersten Mal auftritt.
Dazu ein Beispiel: Der Aufsichtsratsvorsitzende der Firma C telefoniert mit den einzelnen Mitgliedern seines Aufsichtsrates und erfährt dabei, dass die Mehrheit der Mitglieder den Vertrag mit dem Vorstandsvorsitzenden nicht verlängern will. Kein Aufsichtsratsmitglied kann seine Willensäußerung revidieren oder weiß, welche Meinung die anderen Mitglieder vertreten. Den Zeitpunkt, an dem der Vorsitzende erfährt, wie die Mehrheit entschieden hat, ist der Zeitpunkt IT+0, der Zeitpunkt, an dem die Information zuerst auftritt.
Der Zeitpunkt IT+0 muss im Begriff „always“ enthalten sein, denn letzterer kann paraphrasiert werden als „zu jedem beliebigen Zeitpunkt“, was auch den Zeitpunkt einschließt, an dem die Information zuerst auftritt.
Wenn diese Analyse korrekt ist, dann folgt daraus, dass „always“ hier auch „unverzüglich“ bedeuten muss, denn die Kenntnisnahme der Information zum Zeitpunkt IT+0 findet ohne Zeitverzug statt.
Wenn also der Preis, wie Fama postuliert, jede verfügbare Information unverzüglich und vollständig wiederspiegelt, dann bedeutet dies, dass es weder einen Zeitverzug noch einen Bedeutungsverlust zwischen Kenntnisnahme einer Information und Handel geben darf, da der Markt ineffizient wird, sobald einige Marktteilnehmer aufgrund einer früher und/oder vollständiger zu Kenntnis genommenen Information handeln können, andere aber nicht.
Eine revidierte Liste der Bedingungen
Damit gelangen wir zu einer revidierten Liste von fünf notwendigen Bedingungen, die zusammen hinreichend sind für einen effizienten Markt:
(1) Jede Information ist unverzüglich verfügbar.
(2) Jede Information ist vollständig verfügbar.
(3) Jede Information ist kostenlos verfügbar.
(4) Für die Information, dass keine Transaktionskosten anfallen, gelten die Bedingungen (1) – (3).
(5) Alle Marktteilnehmer stimmen in der Bewertung verfügbarer Information überein. Diese Bewertung ist selbst eine Information, für die die Bedingungen (1) – (3) gelten.
Was bedeuten diese Bedingungen im einzelnen?
Information (allgemeine Verfügbarkeit, unverzügliche Verfügbarkeit und Kostenlosigkeit)
Mit Information sind hier im wesentlichen Daten und Fakten gemeint, wie etwa: Ein Unternehmen ermittelt einen Gewinn oder Verlust für das letzte Quartal; der Vertrag eines Vorstandsvorsitzenden soll nicht verlängert werden; ein bekannter Investor plant, sich an einem Unternehmen zu beteiligen; eine wissenschaftliche Untersuchung zeigt, dass das wichtigste Produkt eines Unternehmens krebserregend ist; eine unverzichtbare technische Vorrichtung im wichtigsten Produkt eines Unternehmens verstößt gegen gesetzliche Vorschriften.
Die Beispiele verdeutlichen, dass relevante Information allen Marktteilnehmern in der Regel weder vollständig noch unverzüglich zur Verfügung stehen kann.
Das Bekanntwerden von Information erfolgt nicht unmittelbar, sondern im Verlauf einer gewissen Zeitdauer, die man als ihre Verbreitung bezeichnen kann: Der Quartalsgewinn ist vermutlich zuerst den Mitarbeitern im Accounting bekannt, dann der Geschäftsführung, dann vielleicht Mitarbeitern des Wirtschaftsprüfers, dann einigen Journalisten. Und selbst wenn die Information am Ende öffentlich zugänglich ist, bedeutet dies noch lange nicht, dass jeder Marktteilnehmer sie auch zur Kenntnis genommen hat bevor er die Aktie des Unternehmens handelt.
Die Bedingung, dass Information kostenlos sein muss trifft auf eine faktische Unmöglichkeit in realen Märkten, da sowohl die Recherche als auch das Verbreiten von Information mit Kosten verbunden sind. In einem Markt, in dem Information Kosten verursacht, wird aber nicht gehandelt, wenn die Kosten der Information (i) höher sind als ihr Wert oder (ii) höher sind als die verfügbaren Mittel eines Marktteilnehmers.
Die Bedingungen der Vollständigkeit, Unverzüglichkeit und Kostenlosigkeit verhindern demnach in realen Märkten, dass Information von allen Marktteilnehmern in gleicher Weise zur Kenntnis genommen werden kann und in der Folge, dass ein Markt den Zustand der Effizienz jemals erreicht.
Transaktionskosten
Informationen können zu kleinen oder großen Preisänderungen (bzw. Kursänderungen bei Aktien führen). In einem Markt ohne Transaktionskosten ändert jede Information den Preis, weil der Handel (und damit die Nutzung des Wertes der Information) kostenlos ist.
Die Bedingung, dass keine Transaktionskosten anfallen, trifft aber auf eine faktische Unmöglichkeit in realen Märkten, da jeder Handel Kosten verursacht.
In einem Markt mit Transaktionskosten wird aber nicht gehandelt, wenn die Transaktionskosten höher sind als der Wert der Information. Jede Art von Transaktionskosten verhindert also, dass der Markt den Zustand der Effizienz erreicht.
Bewertung der Information
Die Kenntnisnahme einer Information allein sagt noch nichts darüber aus, wie Marktteilnehmer diese Information bewerten: Ist die Tatsache, dass ein Vorstandsvorsitzender geht, nun eine gute oder eine schlechte Nachricht? Ist der Nachweis der Kanzerogenität unbestritten, oder gibt es andere Untersuchungen, die zu anderen Ergebnissen kommen? Besteht Krebsgefahr bei regulärer Produktverwendung oder lediglich bei mißbräuchlicher Verwendung? Kann das Unternehmen sein Produkt so verändern, dass dieses nicht mehr krebserregend ist?
In aller Regel wirken Informationen (also Daten oder Fakten) nicht direkt auf Kurse ein, sondern ausschließlich über Bewertungen. Denn erst nach einer solchen Bewertung werden die Marktteilnehmer handeln (kaufen oder verkaufen) und nur durch dieses Handeln wird der Kurs bewegt.
Die Art und Weise, wie Informationen von Marktteilnehmern bewertet werden, ist komplex. Jede Bewertung braucht Zeit (erfüllt also nicht die Bedingung der Unverzüglichkeit) und gegebenenfalls zusätzliche Information und es ist faktisch ausgeschlossen, dass alle Marktteilnehmer am Ende in ihrer Bewertung einer Information übereinstimmen. Dies verhindert, dass der Markt einen Zustand der Effizienz erreichen kann.
Darüberhinaus ist fraglich, ob die Forderung nach vollständiger Übereinstimmung der Marktteilnehmer in der Bewertung der Information nicht dem Prinzip des Handels widerspricht, das fordert, dass es für jeden Verkäufer einen Käufer geben muss. Käufer und Verkäufer werden sich aber nur finden, solange Marktteilnehmer die verfügbaren Informationen unterschiedlich bewerten. Ist das nicht der Fall, muss der Markt kollabieren. (Siehe dazu auch: Grossman, Stiglitz, 1980, S. 404)
Die „always“-Bedingung, die auch die Bedingung der Unverzüglichkeit impliziert, führt zu verschiedenen Einwänden gegen das Efficient Markets Model.
Das Problem der Zeit
Ein Problem scheint zu sein, dass Preisbildung ein Prozess ist und aus der Annahme der Unverzüglichkeit folgt, dass dieser Prozess keine Zeit verbraucht. Es ist aber fraglich, ob ein Prozess ohne Zeitverbrauch, d.h. ohne Dauer, überhaupt ein Prozess sein kann, denn Dauer scheint jeder möglichen Definition von „Prozess“ wesentlich zu sein.
Darüber hinaus kann man sich kaum einen Test vorstellen, mit dem Famas Modell für einen realen Markt falsifiziert werden könnte, ohne dass zugleich Prozesse mit zeitlicher Dauer angenommen werden. Wenn das so ist, wäre seine These aber praktisch unwiderlegbar und würde letztlich auf die Behauptung hinauslaufen „Ein effizienter Markt ist ein Markt, der nicht ineffizient ist“.
Zudem beruht Famas Modell möglicherweise auf einem Widerspruch, weil er annehmen muss, dass Prozesse zugleich eine Dauer und keine Dauer haben.
Dazu ein Beispiel: In Zenos berühmtem Paradox „Achilles und die Schildkröte“ unternehmen die beiden Protagonisten einen Wettlauf. Da Achill zehnmal so schnell läuft wie die Schildkröte, bekommt diese einen angemessenen Vorsprung. Mit seinem Modell will Zeno zeigen, dass Achill die Schildkröte niemals einholen kann, denn ganz gleich wie schnell er läuft, wenn er an der Stelle ankommt, wo die Schildkröte vorher war, ist diese bereits ein Stückchen weiter gekrochen. Wenn der Held aber nun diese neue Stelle erreicht, ist das Tier schon wieder ein Stück voraus und so weiter und so weiter.

Zenos Modell widerspricht der Lebenserfahrung mit realen Wettläufen, aber es ist nicht so leicht zu sehen, worauf das Paradox beruht (siehe dazu Broad, 1913).
Um zu seinem Schluss zu kommen muss Zeno annehmen, dass (a) die Rennstrecke aus unendlich vielen Punkten besteht und (b) jedem dieser Punkte genau ein Zeitpunkt zugeordnet ist.
Wenn die Schildkröte tatsächlich uneinholbar sein soll, dann muss Zeno fordern, dass jeder dieser Zeitpunkte eine geringe Dauer besitzt, denn in seinem Modell kann nur die Summe aus unendlich vielen Zeitdauern eine unendliche Dauer ergeben.
Auf der anderen Seite, wenn jeder Zeitpunkt auch nur die geringste Dauer hätte, dann könnte es nur eine endliche Menge von Zeitpunkten zwischen Start- und Treffpunkt geben. Und damit müsste Achill am Ende dieser endlich langen Reihe doch den Punkt erreichen, an dem er seinen langsameren Kontrahenten überholt.
Deshalb muss Zeno bestreiten, dass Zeitpunkte eine Dauer haben.
Das Paradox entsteht also dadurch, dass in Zenos Modell sowohl angenommen werden muss, dass ein Zeitpunkt Dauer hat als auch, dass er keine Dauer hat.
Dieser Widerspruch führt im Ergebnis zu katastrophalen Folgen.
Wie Zeno muss auch Fama annehmen, dass Prozesse zugleich eine Dauer (in realen Märkten) und keine Dauer (im Modell) haben. Dieser Widerspruch hat, wie wir noch sehen werden, eine entscheidende Bedeutung für die Frage, die Fama zu beantworten sucht und die wohl jeden Anleger umtreibt: Bilden sich Aktienkurse zufällig oder nicht?
Das zugrundeliegende Problem schein Fama bewusst zu sein, denn er sagt:
„We already have enough evidence to determine that the model is not
strictly valid“ (Fama, 1970, S. 410).
Das EMM als „Benchmark“
Trotzdem glaubt er das Efficient Markets Model auf reale Märkten anwenden zu können und zwar als „Benchmark“.
„The strong-form efficient markets model, in which prices are assumed to fully reflect all available information, is probably best viewed as a benchmark against which deviations from market efficiency (interpreted in its strictest sense) can be judged. Two such deviations have in fact been observed … At the moment, however, corporate insiders and specialists are the only two groups whose monopolistic access to information has been documented.“ (Fama, 1970, S. 415).
Aber was soll „Benchmark“ in diesem Zusammenhang bedeuten? Folgende Interpretationen bieten sich an:
Ein „Benchmark“ ist der Vergleich einer Entität mit
- den Besten innerhalb einer abzählbar endlichen Menge;
- einem aus einem (Natur-)Gesetz abgeleiteten Wert, d.h. dem Mittelwert einer unendlichen Menge von konkreten Werten innerhalb einer bestimmten Standardabweichung;
- einem Ideal im Sinne eines „universalen“ Wertes einer unendlichen Menge, was vermutlich widersprüchlich ist
- einem Ziel im Sinne eines sich selbst regulierenden, dynamischen Systems
Vergleich mit den Besten
In den Wirtschaftswissenschaften wird dieser Begriff in der Regel im Zusammenhang mit dem Vergleich verschiedener Unternehmen hinsichtlich bestimmter Kennzahlen verwendet. Dabei geht es immer um den Vergleich mit dem oder den besten Unternehmen aus einer vergleichbaren Gruppe. „Benchmark“ bezieht sich hier also auf tatsächlich erreichbare Werte. Das kann aber gerade nicht gemeint sein, weil reale Märkte den Zustand strikter Effizienz, wie Fama selbst zugibt, nicht erreichen können.
Vergleich mit einem Wert, der aus einem (Natur-)Gesetzt abgeleitet ist
Man könnte Fama vielleicht in der Weise verstehen, dass er mit „Benchmark“ so etwas wie ein (Natur-)Gesetz meint: In realen Märkten könnten dann störende Einflüsse verhindern, dass diese Märkte im strengen Sinne effizient sind (siehe dazu: Duhem, 1998; Schrödinger, 1962).
Dazu ein Beispiel: Wir können aus bestimmten Naturgesetzen ableiten, dass sich unter festgelegten Bedingungen eine bestimmte Metallplatte auf die und die Temperatur erwärmt. Wenn wir nun aber eine reale Metallplatte mit genügend feinen Messinstrumenten überprüfen, dann werden wir feststellen, dass das Gesetz in seiner strikten Form nicht gilt, sondern wir an verschiedenen Stellen der Platte unterschiedliche Temperaturen messen werden, mögen diese Unterschiede auch klein sein. (Duhem, 1998, S. 174ff).
Diese Interpretation passt aber auch deshalb nicht, weil die Temperaturen um den theoretischen Mittelwert schwanken würden, während der theoretische Wert („unverzüglich“), den das Efficient Markets Modell setzt, ein unerreichbarer Extremwert ist.
Vergleich mit einem Ideal
Man könnte „Benchmark“ auch verstehen als den Vergleich eines konkreten Einzelfalls mit einem abstrakten Ideal. Beispiel: Das Ideal des Wissens ist das Allwissen und ein Mensch der mehr weiss, scheint doch näher am Allwissen zu sein als einer der weniger weiß.
Wie sinnlos dieser Vergleich ist zeigt sich an folgender Überlegung: Jemand, der allwissend ist, müsste auch die Zukunft kennen und wissen, was noch nicht gewusst werden kann. Diese Fähigkeit ist Menschen jedoch nicht gegeben. Allwissenheit wäre so unendlich weit von menschlichem Wissen entfernt, dass die Frage, ob ein Mensch näher am Allwissen ist als ein anderer, keinen Sinn ergibt.
Wir können den Begriff „allwissend“ zwar bilden, aber nicht verstehen. Dazu ein Beispiel (siehe Russell, 2007, S. 85): Die Anzahl der natürlichen Zahlen ist unendlich groß: 1, 2, 3, 4, 5, …
Die Anzahl der graden Zahlen ist aber auch unendlich groß: 2, 4, 6, 8, 10, …
Nun könnte man meinen, die erste Anzahl müsse größer sein als die zweite. Aber das ist falsch.
Unendlich große Zahlen, die Vorstellung vom Allwissen und Famas Prozesse ohne Dauer haben etwas gemeinsam: Sie führen in realen Welten zu Widersprüchen und deshalb können wir nicht wissen, was wir da überhaupt miteinander vergleichen.
Vergleich mit einem Ziel
Eine weitere Möglichkeit könnte sein, „Benchmark“ teleologisch zu verstehen als Ziel, als Tendenz, der die realen Märkte folgen. Anders als bei den vorherigen Interpretationen ist die Effizienz hier kein „besserer“ oder „bester“ Zustand. Denn man wird nicht sagen können, dass ein Aktienmarkt um so „besser“ ist, je effizienter er ist. Aus Sicht der Marktteilnehmer müsste sogar eher das Gegenteil richtig sein, denn nur in einem ineffizienten Markt kann es für den Einzelnen Informationsvorteile geben, die sich in Gewinn ummünzen lassen.
Zwar scheint der Begriff des Ziels mit dem der Absicht verknüpft zu sein und die Absicht der Marktteilnehmer besteht sicherlich darin, sich finanziell zu verbessern.
Doch deren Absicht ist nicht entscheidend. Vielmehr könnte man als Ziel (bzw. Tendenz) des Marktes, der als selbst-regulierendes System verstanden wird, seine Effizienz bezeichnen, auch wenn die Marktteilnehmer diese gar nicht beabsichtigen.
Fama führt leider nicht aus, wie er seinen Benchmark-Begriff genau verstanden wissen möchte.
Die teleologische Interpretation ist sicherlich in verschiedener Hinsicht schwierig, dennoch scheint es möglich, sie für das Efficient Markets Model fruchtbar machen zu können und zwar dann, wenn reale Märkte sich im Verlauf von Verbreitungsprozessen von Information notwendig von ineffizienteren zu effizienteren Zuständen bewegen (in diesem Sinne kann man auch Ergebnisse der finanzwissenschaftlichen Forschung verstehen, z.B. Grossman, Stiglitz, 1980). Wie das genau gehen könnte, werden wir uns noch näher anschauen.
Famas Überzeugung, mit seinem Efficient Markets Model ohne weiteres reale Märkte erklären zu können, greift jedenfalls zu kurz:
„For the purposes of most investors the efficient markets model seems a good first (and second) approximation to reality.“ (Fama, 1970, S. 416).
OK Fama, Fazit ist: Das überzeugt uns nicht. Wir denken, dass wir mit unserem Esperanza 4.0 fröhlich und folgenlos durch den Klotz hindurchbrettern werden, den du uns in den Weg gelegt hast. Und wie wir das machen, kannst du im nächsten Teil lesen.
Die Posts:
- Gamestonk?
- Komm, wir werden Millionär (1)
- Komm, wir werden Millionär (2)
- Geschichten für Millionäre
Literatur:
Ang A., Goetzmann W.N. and Schaefer S.M., The Efficient Market Theory and Evidence: Implications for Active Investment Management. Foundations and Trends in Finance, 5(3), 2010, 157–242.
Broad C.D., Note on Achilles and the Tortoise. Mind, 22(4), 1913, 318-319.
Duhem P., „Ziel und Struktur der physikalischen Theorien“. Hrsg. v. Lothar Schäfer. Hamburg: Meiner, 1998.
Fama E.F., Efficient Capital Markets: A Review of Theory and Empirical Work. The Journal of Finance, 25(2), 1970, 383–417.
Fama E.F., The Behavior of Stock Market Prices. The Journal of Business, 38(1), 1965, 34-105.
Grossman S.J., Stiglitz J.E., On the Impossibility of Informationally Efficient Markets. The American Economic Review, 70(3), 1980, 393-408.
Russell B., Mathematics and the Metaphysicians, in: Ders., „Mysticism and Logic“, Nottingham: Spokesman, 2007.
Schrödinger E., „Was ist ein Naturgesetz?“, München: Oldenbourg, 1997.
Bildquellen:
Eugene F. Fama (*1939) – Wikipedia, Foto: Bengt Nyman (2013)
Wall Street – Wikipedia, Foto: Vlad Lazarenko
Zenon von Elea (ca. 490 – 430 v.Chr.) – Rijksmuseum, Amsterdam, Radierung: Jan de Bisschop (1628 – 71)
Ein Gedanke zu “Komm, wir werden Millionär! (1)”