Sophia ist Vegetarierin und zwar deshalb, weil sie nicht möchte, dass ihretwegen ein Tier getötet wird. Durch sie habe ich Tofu kennen und essen gelernt. Dafür habe ich mich mit Zucchinipuffern bedankt – derzeit eines ihrer Lieblingsrezepte.
Wir haben uns schon häufig darüber unterhalten, ob man Fleisch essen darf oder nicht essen sollte. Es ist ein schwieriges Thema. Wenn ich mir ein „industriell produziertes“ Masthähnchen vorstelle, das mit Hormonen auf schnelles Wachstum manipuliert, mit Antibiotika abgefüllt in einem Stall auf kleinstem Raum vegetiert, damit wir billiges Fleisch kaufen können, dann widert mich das an. Solches Fleisch möchte ich nicht kaufen und wenn die Politik zu lahm ist, hier ethische Interessen über Wirtschaftsinteressen zu stellen, auch wenn das Arbeitsplätze kostet, dann versuche ich etwas zu tun, indem ich dieses Fleisch nicht kaufe. Hoffentlich gibt es eine große Konsumverweigerung in unserem Land und diese Mastbetriebe müssen alle schließen. Denn die Tiere, die hier gehalten werden, haben kein Leben, sie werden nur gequält. Es ist kein Menschenrecht, jeden Tag Fleisch zu essen.
Da sind Sophia und ich einer Meinung. Anders sieht es aus mit Tieren, die artgerecht gehalten, aber dann doch geschlachtet werden weit bevor sie eines natürlichen Todes sterben. Sophia lehnt diese Tötung ab, ich nicht. Wenn ich Taschenkrebs koche, dann werfe ich den lebenden Krebs ins kochende Wasser und das scheint mir OK zu sein.
Wenn Sophia und ich über diese Fragen diskutieren, kommen wir auf schräge Gedanken: weil viele Menschen Fleisch essen, werden Tiere gezüchtet (und, nehmen wir mal an, artgerecht gehalten). Diese Tiere haben ein Leben. Wenn alle aufhören würden, Fleisch zu essen, dann würden diese Tiere gar nicht geboren. Ist ein zwar kurzes aber artgerechtes Leben besser als gar kein Leben? Es gibt Philosophen, die den Satz vertreten „Gut ist es, früh zu sterben. Noch besser ist es, nie geboren zu werden“. Dieser etwas lebensfeindliche Satz bezieht sich auf den Menschen. Gilt er auch für Tiere? Sind Tiere froh, dass sie leben?
Es gibt die Geschichte von der glücklichen Gans, die denkt „Ach, da ist ja wieder der nette Mann, der mir jeden Tag das Futter bringt!“. Das denkt sie auch am Tag vor Sankt Martin und wir alle wissen, wie die Geschichte ausgeht. Ein klassisches Beispiel für die Unsicherheit induktiven Schließens, übrigens.
Aber wir wissen natürlich nicht, ob Gänse so denken, ob sie überhaupt denken, ob sie Glück darüber empfinden, dass sie leben. Wir suchen ja ständig im Weltraum nach Aliens – dabei sind doch Tiere die wahren Aliens.
Natürlich akzeptiere ich Sophias Entscheidung, schon deshalb weil es eine bewusste Entscheidung für einen bestimmten Lifestyle ist. Das ist gut und ich versuche meistens nicht, sie zu bekehren. Um ehrlich zu sein, hat sich durch unsere Diskussionen sogar meine Küche verändert – es gibt häufiger als früher fleischlose Tage.
Aber ich bleibe dabei, dass es kein moralisches Problem ist, Fleisch zu essen, denn das ist unsere Art. Möglicherweise könnte ich sogar meiner Katze abgwöhnen, Fleisch zu essen (sie steht sehr auf Käse). Aber hielte ich sie dann noch artgerecht?
Fleisch essen ist in Ordnung, solange wir die Tiere respektieren. Respektieren heißt, dass wir ihnen ein artgerechtes Leben zugestehen, dass wir sie nicht aus Lust töten, sondern um uns von ihnen zu ernähren, dass wir sie möglichst schnell und schmerzlos töten und dass wir sie möglichst vollständig verwerten.
Ich habe also gar kein schlechtes Gewissen, Fleisch zu essen. Ich hätte aber ein sehr schlechtes Gewissen, einen Zoo zu betreiben. Mein Schlüsselerlebnis hatte ich vor vielen Jahren im Zoo von Barcelona. Dort gab es hinter einer Sicherheitsscheibe einen riesigen weißen Gorilla (dem man wie zum Hohn den Namen „Schneeflöckchen“ verpasst hatte) zu bestaunen. Vor dem Fenster drängelten sich die Besucher, auch ich. Der Gorilla starrte auf die Menschen, richtete sich auf und fing an, wie in besinnungsloser Wut auf die Scheibe einzuschlagen. Ich hatte keine Angst, aber ich schämte mich und ging ganz schnell fort. Zoos haben keinerlei Daseinsberechtigung in meinen Augen. Und die Argumente, die für Zoos in’s Feld geführt werden (vor allem Forschung und Arterhaltung) sind meiner Meinung nach nichts als selbstbetrügerische Narrative. Wenn es nicht gelingt, die Arterhaltung in den natürlichen Lebensräumen zu sichern, dann ist es für die Art vielleicht besser, früher als später auszusterben, besser jedenfalls als gefangen gehalten und vorgeführt zu werden. Diese Art von Arterhaltung ist nicht mehr als ein verlogenes „So schlimm sind wir doch gar nicht!“. Zoohaltung ist ebenso wenig artgerecht wie Massentierhaltung und das sieht man den Tieren auch an. Die traurige Geschichte dieses Gorillas findest du hier.
Rainer Maria Rilke hat alles gesagt, was es über Zoos zu sagen gibt:
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.
Deshalb finde ich, dass Zoos sofort verboten und geschlossen werden sollten. Auch Gaffen ist kein Menschenrecht. Tiere sind keine Sachen sondern Personen. Natürlich sind sie anders als wir. Sie scheinen keinen eigenen Willen zu haben und kein Selbstbewusstsein. Aber möglicherweise wissen wir auch einfach nur noch nicht genug über diese Aliens, mit den wir uns den Planeten teilen.
Tiere sind Personen und müssen Rechte haben, die über den Tierschutz hinausgehen. Sowohl in Österreich als auch in den USA hat es schon Klagen gegeben, die die Anerkennung von Persönlichkeitsrechten für Primaten zum Ziel hatten. Bisher sind alle diese Klagen gescheitert. Aber vielleicht ist die Idee nur noch nicht reif. Jedenfalls bewundere ich die Anstrengungen, die zum Beispiel das Non-human Rights Project unternimmt.
Ich kann aber nicht sehen, dass meine Auffassung im Widerspruch zu der Tatsache steht, dass ich Fleisch esse.