In diesem Blog habe ich verschiedentlich von dem mallorkinischen Philosophen Ramon Llull (ca. 1232 – 1316) berichtet. Seine Philosophie drehte sich, wie das meiste philosophische Denken seiner Zeit, um die Frage des Verhältnisses zwischen Naturerkenntnis und Gotteserkenntnis. Dieses Problem lässt sich gut vom sogenannten Universalienstreit her erklären, der damals ausbrach.
Das Universalienproblem
Nimm’ zum Beispiel den Begriff „gut“. Du kannst sagen, wenn ein Schüler eine mathematische Aufgabe löst, ist das „gut“. Natürlich musst du den Schüler und die Aufgabe noch näher bestimmen, denn es wäre ja nicht unbedingt „gut“ zu nennen, wenn ein Abiturient die Aufgabe „2 plus 3“ löst. Du siehst, dass „gut“ ein relativer Begriff ist, der jeweils in einem Kontext durch Konvention festgelegt wird.
Es stellt sich nun die Frage, ob es nicht nur einzelne Fälle von „gut“ gibt, sondern eine allgemeine Form wie „das Gute“, „Gutheit“ oder „Bonitas“. In jedem Fall hat sich diese allgemeine Form ja als Begriff gebildet und wird in der Sprache verwendet.
Wenn es aber „das Gute“ gibt – was ist das dann? Ist das etwas Reales, das unabhängig davon existiert, ob wir Menschen es kennen (einen Begriff davon haben), so wie ein bisher unbeobachteter Planet in den Tiefen des Weltraums? Oder ist „das Gute“ etwas, das nur in unseren Köpfen existiert und auf dessen fiktive Existenz wir uns irgendwie, vielleicht aus praktischen Gründen, geeinigt haben?
„Das Gute“, „Das Rot“ oder „Der Mensch“ sind Beispiele für Universalien und der Universalienstreit ging darum, ob diesen Allgemeinbegriffen etwas Objektives, also nicht vom menschlichen Denken Abhängiges, entspricht.
Von den Universalien zu den Namen Gottes
„Das Gute“, „Die Gerechtigkeit“, „Die Allmacht“ sind, wenn du so willst, „reine“ Begriffe. Denn über „das Gute“ hinaus – wenn es denn real ist – gibt es ja nichts Besseres. „Das Gute“ kann keinen Makel haben, kann nicht irgendetwas beinhalten, das nicht ganz gut wäre. „Das Gute“ ist absolut.
Von dieser Überlegung her lag es nahe, bestimmte Universalien als Namen Gottes zu interpretieren. „Gott“ ist vermutlich kein alter Mann mit einem weißen langen Bart, aber „Gott“ könnte das sein, was mit den Universalien wie „Das Gute“, „Die Gerechtigkeit“ und so weiter benannt wird. Wenn du dieser Theorie folgst, dann sollte den Universalien objektive Realität zukommen, denn sonst würde Gott ja nur in unseren Köpfen und aufgrund einer Übereinkunft existieren. Dann wäre er aber kaum allmächtig, groß und herrlich, weil ihm dafür die wichtigste Voraussetzung fehlen würde – dass es ihn nämlich gibt.
Die meisten Philosophen des Mittelalters waren aus diesem Grunde geneigt zu glauben, dass Universalien real sind.
Beweisen, dass es Gott gibt
Ausgehend von dieser Prämisse entwickelten die Philosophen des Mittelalters eigene Logiken, mit denen sie – so nahmen sie an – beweisen konnten, dass es Gott gibt. Denn wenn ein Beweis ausschließlich mit Hilfe der Logik geführt wurde, dann musste er zwingend sein und unwiderleglich und jedem Menschen einleuchten, der denken konnte. Auch den Heiden. Genau das war Ramon Llulls philosophisches Programm.
Der klassische Gottesbeweis des Mittelalters stammt allerdings nicht von Lull, sondern von Anselm von Canterbury (ca. 1033 – 1109). Dieser Beweis ist sehr einfach (viel einfacher als der von Raimund) und gerade deshalb besonders verwirrend. Er geht so:
Anselm glaubte, dass auch ein dummer Mensch zugeben würde, dass er sich ein Wesen vorstellen könnte, das so großartig ist, dass man sich darüber hinaus nichts Großartigeres vorstellen kann. Doch der dumme Mensch würde bestreiten, dass dieses Wesen auch außerhalb seiner Vorstellung existiert. Damit beginge er aber einen schweren logischen Fehler, denn wenn dieses Wesen nicht existierte, dann ermangelte es ihm an etwas, nämlich an der Existenz, und dann könnte es nicht das sein, über das hinaus nichts Großartigeres vorstellbar ist.
Mit anderen Worten, wenn der Dummkopf sich nicht selbst widersprechen will, dann müsste er, wenn er Gottes Existenz bestreiten wollte, auch bestreiten, dass er sich Gott vorstellen kann, was offensichtlich Unsinn ist, da wir die Vorstellung ja nun einmal haben.
Du könntest versucht sein, Anselms Beweis leichthin abzubügeln, indem du einwendest, dass du dir auch Berge aus Gold oder einen unsterblichen Menschen vorstellen kannst, aber dass diese Vorstellungen deshalb noch lange nicht Realität sind.
Doch Anselms Argument ist raffinierter, als man denkt. Denn für die Berge von Gold gibt es ja keine logische Notwendigkeit – sie können genauso gut nicht existieren. Für das Wesen, über das hinaus du dir nichts Großartigeres vorstellen kannst, gilt aber mit Notwendigkeit, dass es existiert. Denn zu seiner unübertrefflichen Großartigkeit muss notwendigerweise auch seine Existenz gehören, würde die fehlen, wäre es eben nicht das Großartigste, was du dir vorstellen kannst.
Trotzdem haben vermutlich die meisten heutigen Leser von Anselms „Proslogion“ das Gefühl, das mit dieser Argumentation irgendetwas nicht stimmen kann.
Der christliche Gott ist so kompliziert
Auch Ramon Llulls philosophisches Ziel war der Beweis, dass es Gott gibt. Aber nicht irgendeinen Gott, sondern den Gott des christlichen Glaubens. Denn für Lull sollte der Gottesbeweis Mittel eines missionarischen Zwecks sein – er wollte die „Heiden“ bekehren und zwar allein mit Gründen der Vernunft und der Logik.
Dieses Projekt verfolgte Raimund mit unglaublicher Hartnäckigkeit. Zum Beispiel gründete er auf Mallorca die erste Sprachschule Europas (das Kloster Miramar, das du heute noch besichtigen kannst). Weil er davon überzeugt war, dass die Heiden nur überzeugt werden konnten, wenn die logische Argumentation in ihrer eigenen Sprache geführt wurde.
Hinsichtlich des Gottesbeweises war ihm klar, dass ein einfacher Beweis ihm nicht weiter helfen konnte, weil die Andersgläubigen ihn zwar akzeptieren, dann aber behaupten würden, dass er damit eben die Existenz ihres Gottes bewiesen habe. Deshalb überlegte Raimund sich einen Beweis der nicht nur Gottes Existenz sondern auch die Trinität, die sogenannten „Heiligen Dreifaltigkeit“, mit beweisen sollte. Der Glaube an die Dreifaltigkeit ist nämlich spezifisch christlich und etwas, was man einem Heiden wirklich kaum erklären kann.
Seit dem Konzil von Nicaea im Jahr 325 sind alle Christen verpflichtet zu glauben, dass Vater, Sohn und Heiliger Geist wesensgleich sind, also keinesfalls drei verschiedene Götter. Da Vater, Sohn und Heiliger Geist ewig und ungeschaffen sind, kann man auch nicht sagen, dass Gottvater den Sohn irgendwie gezeugt hat. Das aber widerspricht der Definition des Begriffspaars „Vater – Sohn“ und war einer der Punkte, weswegen Andersgläubige die christliche Religion als unlogisch ablehnten.
Dummerweise ist „Dreifaltigkeit“ kein Begriff wie „das Großartigste“. In „das Großartigste“ lässt sich die notwendige Existenzbedingung noch mit einiger Plausibilität hinein definieren, in die Dreifaltigkeit aber nicht. Deshalb musste Raimund anders vorgehen.
Zunächst legte er sich auf neun „reine“ Begriffe fest, die er zugleich als absolute Prinzipen und als Namen Gottes verstand. Als höchste Prinzipien war nichts über sie Hinausgehendes denkbar, zum Beispiel kann es nichts Besseres geben als „Das Gute“, nichts Größeres als „Die Größe“ und so weiter. Als Namen Gottes waren sie keine abstrakten Gedankengebilde (Universalien), sondern Eigennamen des wirklichen Gottes.
Hiergegen hatten Mohammedaner und Juden kaum etwas einzuwenden. Sodann formulierte er neun relative Prinzipien, die beschreiben sollten, wie unsere irdische Wirklichkeit an der Wirklichkeit Gottes teilhat. Denn in unserer Welt können die absoluten Prinzipien nicht in ihrer reinen Form vorkommen, weil es keinen Menschen geben kann, der absolut gut ist. Jeder Mensch ist immer nur relativ gut im Vergleich mit anderen Menschen.
Für den logischen Nachweis der Dreifaltigkeit war die Zahl neun von besonderer Bedeutung. Raimund ordnete nämlich je drei Namen dem Vater (Gutheit, Größe, Dauer), dem Sohn (Macht, Weisheit, Wille) und dem Heiligen Geist (Tugendkraft, Wahrheit, Herrlichkeit) zu. Dabei spielte auch die Reihenfolge ihrer Anordnung eine wichtige Rolle, es war also kein Zufall, dass Raimund Gutheit, Macht und Tugendkraft als jeweils ersten Namen einer der Heiligen Dreifaltigkeiten zuordnete. Die relativen Prinzipien sind bei ihm ohnehin schon Tripel (Anfang, Mitte, Ende). Aber auch hier hat die Reihenfolge eine Bedeutung, was man leicht erkennt, wenn man die Mittelbegriffe zusammenstellt (Übereinstimmung, Mitte, Gleichheit).
Jede Erscheinung unserer Welt kann nun mit Hilfe von jeweils drei relativen Prinzipien und anderen Erscheinungen daraufhin untersucht werden, inwieweit sie an einem bestimmten absoluten Prinzip teilhat.
Lull entwarf ein kreisförmiges Schema, die sogenannte „Figur A“, in dem er die absoluten Prinzipien so anordnete, dass jeweils drei miteinander in Beziehung gestellt und im Disput weiter untersucht werden konnten.

Raimund hoffte, dass er die Andersgläubigen dazu bringen konnte, zunächst seine Prinzipien anzuerkennen, um von diesen gemeinsamen Prämissen aus zu zeigen, dass alles Nachdenken über Gott immer auf die Dreizahl hinauslaufen musste. Dafür aber konnte es keinen anderen Grund geben als – so würde er argumentieren – Gottes dreifaltiges Wesen.
Dieser Beweis ist nicht nur sehr kompliziert, sondern auch sehr indirekt. Anders als Anselm, der mit einiger Überzeugungskraft sagen konnte „Das Großartigste ist nur das Großartigste, wenn es auch existiert“, kann Raimund im besten Fall zu einem „hört sich plausibel an“ gelangen. Sein Beweis ist also keineswegs so zwingend, wie er wohl geglaubt hat. Zwar konnte er hoffen, dass Andersgläubige seine absoluten Prinzipien als Namen Gottes akzeptierten, aber man konnte doch trefflich darüber streiten, warum es gerade neun sein sollten und wenn, warum gerade diese neun (immerhin hatte Raimund die Begriffe und ihre Anzahl selbst mehrfach geändert).
Aber auch wenn du sie einmal annehmen wolltest, dann folgt aus der Dreierstruktur (die eher Zahlenmagie ist als logisches Schließen) keineswegs mit Notwendigkeit die Existenz der Dreifaltigkeit Gottes.
Raimunds Vertrauen in die Kraft seiner Logik wurde ihm persönlich zum Verhängnis: Auf einer Missionsreise wurde er in Nordafrika auf einem Marktplatz bei der Ausführung seines Beweises von wütenden Andersgläubigen gesteinigt und ist auf der Rückfahrt nach Mallorca seinen Verletzungen erlegen.